Mein wundervolles Genom
weniger effizienten Variante des MAOA-Gens möglicherweise aggressiver sind: Die Widrigkeiten des Lebens treffen sie härter.
In ihrer Studie haben Eisenberger und Lieberman zunächst bei allen Freiwilligen die Genvariante bestimmt und sie dann in einen Gehirnscanner geschoben. Dort mussten sie bei einem Computerspiel mitmachen, das so angelegt war, dass der Spieler sich als Außenseiter fühlen musste – das Äquivalent zu sozialer Ausgrenzung. Die Forscher maßen nun die Aktivität in einer bestimmten Hirnregion, dem dorsalen Anterioren Cingulären Cortex (dACC), der eine zentrale Rolle bei derWahrnehmung sozialer Situationen spielt, die mit seelischem Schmerz verbunden sind. Bei den Versuchsteilnehmern mit der »aggressiveren« Genvariante leuchtete diese Region wie ein Feuerwerkskörper auf, wenn der Spieler Zurückweisung erfuhr. Die Aggression war nicht, wie angenommen, die Folge mangelnder Selbstkontrolle. Die Personen waren keine gefühllosen Brutalos, sondern hypersensible Naturen, ihre Aggression war eher ein Ausdruck besonderer psychischer Dünnhäutigkeit. 21
»Das MAOA-Gen ist wirklich interessant«, bemerkt Weinberger und lehnt sich in seinem Sessel zurück. »Die ersten Studien haben sich auf aggressives Verhalten konzentriert, das einfach eine Reaktion darstellt. Aber allmählich haben wir herausgefunden, dass die Genvarianten in einem allgemeineren Sinn einen Einfluss haben, wie es um unsere soziale Sensibilität bestellt ist.« Er richtet sich abrupt auf. »Wir dürfen BDNF nicht vergessen.«
Die Abkürzung BDNF (für brain derived neurotrophic factor, vom Gehirn stammender neurotrophischer Faktor) zu hören, ist wie die Begegnung mit einem alten Bekannten. In meiner Doktorarbeit ging es darum, wie das BDNF-Protein im Gehirn wirkt – im Gehirn von Ratten, genaugenommen.
»Sicher, aber es ist dasselbe«, sagt Weinberger mit einer abwehrenden Handbewegung. Ob bei Ratten oder bei Menschen, auf jeden Fall ist BDNF ein Wachstumsfaktor, ein Protein, das Gehirnzellen sagt, sie sollen sich teilen oder wachsen oder neue Synapsen bilden. Die Wissenschaftler haben herausgefunden, dass BDNF in zwei Versionen vorkommt, und genau wie bei COMT besteht der Unterschied in einer einzigen kleinen Aminosäure, nämlich der an Position 66 der Proteinkette; dort findet sich entweder Valin oder Methionin. Wenn das BDNF-Gen an dieser Position für Methionin codiert, wird das BDNF-Protein langsamer aus der produzierenden Zelle herausgepumpt, was bedeutet, dass dem Gehirngewebe weniger Wachstumsfaktor zur Verfügung steht. Das muss eine Bedeutung haben. Aber die Wissenschaftler versuchen immer noch herauszufinden, was diese Bedeutung ist.
Ein Weg, der Lösung auf die Spur zu kommen, besteht darin, Personen in Situationen zu bringen, die unterschiedliche kognitive Fähigkeiten verlangen. Zum Beispiel haben Forscher an der University of California in Irvine untersucht, ob sich ein Zusammenhang zwischen den Qualitäten als Autofahrer und den BDNF-Varianten herstellen ließ. Die Freiwilligen, die alle zuvor genetisch getestet worden waren, wurden in einen Fahrsimulator gesetzt. Die Testpersonen mit einem BDNF-Gen mit der Methionin-Variante machten nicht nur die meisten Fahrfehler, sondern waren auch am wenigsten in der Lage, aus den Fehlern zu lernen. 22 Anderen Studien zufolge ist diese Variante mit negativen Wirkungen auf bestimmte Aspekte des Gedächtnisses verbunden, nicht zuletzt mit dem sogenannten Episodengedächtnis, in dem Lebensereignisse gespeichert werden. Weinbergers Forschungsgruppe fand Hinweise, dass Personen mit dieser Variante schlechter bei Tests abschneiden, in denen sie Wörter erkennen sollen – »geringe Effekte, aber messbar«, sagt er.
BDNF scheint auch mit SERT zu interagieren. 2008 haben Weinberger und seine Kollegen in der Zeitschrift Molecular Psychiatry einen Artikel veröffentlicht, wonach die BDNF-Variante, die Methionin langsam freisetzt, anscheinend vor einigen Effekten schützt, die bei der kurzen SERT-Variante zu beobachten sind. Wenn Sie mit zwei kurzen SERT-Varianten zur Welt gekommen sind, fällt es Ihnen schwerer, negative emotionale Signale aus dem Mandelkern zu unterdrücken. Die negativen Emotionen schwelen lange und führen vermutlich dazu, dass Sie leichter in einer Depression versinken. Aber wenn Sie außer den kurzen SERT-Varianten auch noch einen Defekt in Ihren BDNF-Genen haben, wird dieser Effekt etwas abgemildert. 23 Mit anderen Worten: Eine Variante, die in einer
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