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Mein wundervolles Genom

Mein wundervolles Genom

Titel: Mein wundervolles Genom Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lone Frank
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Aber irgendwann übernehmen wir die Kontrolle über uns. Und dann liegt die Verantwortung für unser Leben in unseren Händen.
    Mein Vater wollte das gern akzeptieren, aber so richtig überzeugt war er nie. Vielleicht hatte er sich nie ganz von seinen eigenen Elternbefreit, auf die er seine Persönlichkeit größtenteils zurückführte, vor allem die schwierigeren Seiten.
    Aber wer hat recht? Wie funktioniert das? Was können wir über die Quelle unserer Persönlichkeit und ihre biologischen Mechanismen sagen?
    Das sind zentrale Fragestellungen der Persönlichkeitsforschung, die heute eine Renaissance erfährt. Zu einem erheblichen Teil hängt ihre Wiederauferstehung damit zusammen, dass die Wissenschaftler inzwischen ein gutes Modell für die Persönlichkeit besitzen und sie mit den Mitteln der Genetik erforschen können. Sie sind nicht mehr nur in Auseinandersetzungen über ideologisch gefärbte Theorien, vom klassischen Freud’schen Modell über Psychodynamik bis zur Sozialpsychologie, gefangen. Seit das Genom für Untersuchungen zur Verfügung steht, ist die Persönlichkeitsforschung in die Ränge der echten Wissenschaft zurückgekehrt.
    Des Pudels Kern ist das Fünf-Faktoren-Modell. Wie der Name sagt, identifiziert das Modell fünf allgemeine Persönlichkeitsmerkmale oder Dimensionen der Persönlichkeit: Offenheit, Gewissenhaftigkeit, Extraversion, Verträglichkeit und Neurotizismus. Diese sogenannten »Big Five« beschreiben Verhaltenstendenzen, die jeder in seinem Charakter hat. Neurotizismus ist die Tendenz, sich in negativen Impulsen zu verlieren, Extraversion die Tendenz, nach Gesellschaft zu suchen und zuversichtlich zu sein. Offenheit ist die Tendenz, sich auf neue, unbekannte Ansichten und Erfahrungen einzulassen, und Gewissenhaftigkeit ist die Tendenz, zu planen, pflichtbewusst zu sein und eher zurückhaltend als spontan. Verträglichkeit liegt auf der Hand.
    Jede dieser fünf Dimensionen besteht aus sechs Facetten, die sich auch als Persönlichkeitszüge beschreiben lassen, die statistisch mit den übergeordneten Dimensionen korrelieren. Herzlichkeit, Geselligkeit und Erlebnishunger sind Facetten der Extraversion. Disziplin und Ordnungsliebe gehören zur Gewissenhaftigkeit. Reizbarkeit, Depression und Ängstlichkeit sind mit Neurotizismus verknüpft.
    Trotz dieser klaren Schubladen und Kategorien ergibt sich daraus keine wasserdichte, idiomatische Definition einer Persönlichkeit. Vielmehr vertreten viele Psychologen die Auffassung, dass wir es mit einer Reihe grundlegender Dispositionen (oder Verhaltensneigungen) zu tun haben, die ein allgemeines Muster skizzieren, wie wir denken, fühlen, handeln und auf die Welt um uns herum reagieren. Man kann es auch komplizierter ausdrücken. Zum Beispiel sagt Daniel Nettle, Psychologe an der University of Newcastle, Persönlichkeitsmerkmale seien »stabile individuelle Unterschiede in der Reaktivität mentaler Mechanismen, die dazu bestimmt sind, auf spezielle Arten von Situationen zu antworten«. 1
    Wir müssen uns vorstellen, dass alle Menschen mit den gleichen Grundgefühlen und Grundreaktionen ausgestattet sind. Aber wie leicht sie in jedem von uns angeregt werden und wie heftig sie zum Ausdruck kommen, variiert stark. Menschen mit einer neurotischen Persönlichkeitsstruktur reagieren besonders leicht auf die ganze Bandbreite negativer Emotionen, die sie auch sehr stark erleben, während eine extravertierte Persönlichkeit viel stärker auf positive Emotionen reagiert.
    Anders als viele andere Persönlichkeitstests geht das Fünf-Faktoren-Modell nicht von einer in Stein gemeißelten Theorie der Persönlichkeit aus; es orientiert sich an Daten, einem Extrakt aus Messungen und Beobachtungen in Laborexperimenten und dem realen Leben. Interessanterweise kann seine Geschichte wie die der Verhaltensgenetik bis zu dem guten alten Sir Francis Galton zurückverfolgt werden. Darwins talentierter Vetter wollte unbedingt den menschlichen »Charakter«, wie er sagte, vermessen und hatte die hervorragende Idee, Züge unserer Persönlichkeit müssten sich in der Sprache niedergeschlagen haben. Deshalb wandte er sich den Wörterbüchern zu und sammelte rund tausend englische Wörter, die Facetten und Nuancen des Charakters oder der Persönlichkeit beschreiben. Durch die Zusammenfassung von Synonymen reduzierte er das Ganze auf deutlich weniger einzigartige Persönlichkeitszüge, die er 1884 in einem Aufsatz mit der Überschrift »Die Messung des Charakters« 2

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