Mein wundervolles Genom
veröffentlichte.
Die moderne Wiedererfindung der Persönlichkeitsforschung begann ebenfalls mit der lexikografischen Methode. 1936 wühlte sich die britische Forschergruppe von Gordon Allport und H. S. Odbert durch aktuelle englische Wörterbücher und trug eine Liste mit 4500 Adjektiven zusammen, die nach ihrer Auffassung sämtliche bei Menschen anzutreffenden Persönlichkeitsmerkmale bezeichneten. 3 Aber richtig in Bewegung kamen die Dinge erst mit Untersuchungen an echten Menschen in den 1950er und 1960er Jahren, bei denen die Forscher die Probanden sich selbst und andere beschreiben ließen. Häufig sollten die Versuchspersonen dabei den beschreibenden Begriffen Zahlenwerte zuordnen.
Nach diesem Durchbruch zeichnete sich in der scheinbaren Kakophonie der Psyche eine Ordnung ab. Es wurde erkennbar, dass bestimmte Persönlichkeitsaspekte gemeinsam auftreten. Mithilfe der Faktorenanalyse, einem statistischen Verfahren, mit dem man eine große Datenmenge reduzieren und strukturieren kann, konnten die Forscher die vielen Elemente auf einige wesentliche eingrenzen.
Der Erste, der von dieser statistischen Methode Gebrauch machte, war Raymond Cattell, Mitbegründer des Instituts für Persönlichkeits- und Begabungstestung an der University of Illinois. Er fand in den Daten aus einem Persönlichkeitstest, den er selbst entwickelt hatte, Anhaltspunkte für sechzehn unterschiedliche, voneinander unabhängige Faktoren. Seine Arbeit war die Grundlage für spätere Untersuchungen von Persönlichkeitsdaten. 1961 wendeten Ernest Tupes und Raymond Cristal vom Personalforschungszentrum der US Air Force die Faktorenanalyse auf Daten aus acht großen Studien an und identifizierten erstmals die fünf Faktoren. Ihre Ergebnisse wurden nur zwei Jahre später von einem Kollegen bestätigt, Warren Norman von der University of Michigan. 4 Den Rest des Jahrzehnts blieb es die dominierende Vorstellung, dass Persönlichkeitszüge unterschieden und gemessen werden können, dass es etwas Greifbares an der inneren Ausstattung eines Menschen gibt, das man zugleich auch zur Vorhersage von Verhalten nutzen kann.
Aber dann kamen die turbulenten 1970er Jahre. Ein starker ideologischer Wind fegte über die Persönlichkeitsforschung hinweg und erschütterte sie. Nun waren die Sozialpsychologen an der Reihe, dieglaubten, etwas so Reaktionäres wie eine »stabile Persönlichkeit« existiere nicht. Führende Vertreter dieser Richtung wie der amerikanische Psychologe Walter Mischel sagten, wer wir sind, hänge von den Umständen ab; Persönlichkeitsmerkmale seien Verhaltensweisen und Einstellungen, die wir der jeweiligen konkreten Situation anpassten. Manche gingen gar so weit zu behaupten, die Persönlichkeit sei eine bloße Konstruktion, etwas, das wir mit Blick auf andere erfinden und mental unserem Bild von ihnen überstülpen würden – um uns eine Illusion zu erschaffen, dass die Welt beständig sei.
Nach der sozialpsychologischen Revolte gerieten die frühen Pioniere der Persönlichkeitsforschung – Allport und Odbert, Tupes und Cristal – weithin in Vergessenheit, aber die Wissenschaft wandte sich dem Feld wieder zu. Diesmal war es der prominente Psychologe Lewis Goldberg, der mit dem Wörterbuch in der Hand und der Faktorenanalyse in der Hosentasche seine Schneise durch die fünf Dimensionen schlug und die Bezeichnung »Big Five« prägte. In den 1980er Jahren wurde das Modell bei den Psychologen populär; endlich hatten sie eine gemeinsame Sprache, in der sie über Persönlichkeit diskutieren konnten.
Als Konsens bildete sich heraus, dass man eine individuelle Persönlichkeit in einem Koordinatensystem mit fünf Achsen beschreiben kann, jede Achse steht für einen Faktor. Ein Mensch ist nicht einfach extravertiert, verträglich oder neurotisch – er hat Züge von jeder Dimension und ist mehr oder weniger stark von der einen oder anderen geprägt. Die jeweiligen Werte bei den fünf Dimension könnte man gewissermaßen als psychologisches Datenblatt bezeichnen, ähnlich wie es das für physische Werte gibt: Brustumfang, Taille, Hüften zum Beispiel oder Größe, Gewicht und Körperfettanteil.
Die amerikanischen Forscher Paul Costa jr. und Robert McCrae entschlüsselten und erläuterten das Fünf-Faktoren-Modell in ihrem Wälzer Personality in Adulthood. Das 1990 veröffentlichte Werk ist so etwas wie die Bibel der Persönlichkeitsforschung. Die beiden Wissenschaftler konstruierten auch einen Persönlichkeitstest, der nach und nach
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