Mein zärtlicher Ritter: Roman (German Edition)
streifte er mit den Lippen ihren Mund. Bei der ersten Berührung durchzuckte ihn ein Speer der Lust und traf ihn so hart, dass ihm schwindelig wurde, seine Knie drohten nachzugeben. Er drückte seinen Mund fest auf ihren. Vage wurde er sich durch das in seinem Innern tobende Verlangen der Unschuld ihres Kusses bewusst. Er zwang sich dazu, die Hände zu lassen, wo sie waren, und nicht dem überwältigenden Verlangen nachzugeben, nach ihrem Körper zu greifen. Wenn sie auch nur im Geringsten zu erkennen gegeben hätte, dass sie diesen Weg schon einmal gegangen war, hätte er sie im Stroh zu seinen Füßen genommen.
Er beendete den Kuss und zog sie in seine Arme. Mit geschlossenen Augen hielt er sie fest und wartete darauf, dass das Donnern seines Herzens nachließ. Gott erbarme sich seiner! Was passierte mit ihm? Dieses Mädchen, das ihm blind vertraute, hatte keine Ahnung von der Gefahr, in der es schwebte.
Schwer schluckend löste er seine Umarmung. Er war sprachlos, wusste nichts zu sagen. Behutsam zog er ihr die Kapuze über den Kopf und steckte ihr langes Haar darunter. Dann ließ er die Arme wie schwere Gewichte an seine Seiten fallen.
»Ich wollte nicht, dass er der Erste ist, der mich küsst«, sagte sie, als müsste sie ihm erklären, warum sie es zugelassen hatte.
Sein Magen krampfte sich zusammen, als er daran dachte, welche ersten Male der andere Mann mit ihr erleben würde.
Sie trat rasch einen Schritt vorwärts, erhob sich auf die Zehenspitzen und presste sanft die Lippen an seinen Mund. Im nächsten Augenblick rannte sie, fest in ihren Umhang gehüllt, über den Burghof.
Viele Jahre lang träumte William von dieser Nacht. In seinen Träumen hielt er sie jedoch im Mondenschein am Fluss in den Armen. In seinen Träumen küsste er die Sorge und die Angst von ihrem Gesicht. In seinen Träumen rettete er sie vor ihrem unglücklichen Schicksal.
In seinen Träumen war sie die Seine.
1
Ross Castle
England, nahe der walisischen Grenze
Juni 1405
Lady Mary Catherine Rayburn saß auf der Bank in ihrem Schlafgemach und wartete auf Nachrichten. Wenn der Prinz ihre letzte Botschaft rechtzeitig erhalten hatte, sollte die königliche Armee ihren Gatten und die Rebellen inzwischen gefangen genommen haben.
Sie zog den Ärmel ihrer Tunika hoch und untersuchte ihren Arm in dem Sonnenstrahl, der durch das schmale Fenster fiel. Die Blutergüsse verblassten allmählich; Rayburn war seit zwei Wochen fort. Sie ließ den Ärmel fallen und lehnte den Kopf an die steinerne Wand hinter ihr.
Nicht ein einziges Mal in all den Jahren hatte ihr Gatte jemals vermutet, dass sie ihn hinterging. Aber jetzt würde er es wissen. Außer den Männern, die mit ihm gegangen waren, war sie als Einzige in der Halle gewesen, als er Zeit und Ort seines Treffens mit den walisischen Rebellen offenbarte.
Sie vergrub das Gesicht in zitternden Händen und betete, dass sie keinen Fehler gemacht hatte. Was sonst hätte sie tun können? Erst wenn er Rayburn mit den Rebellen erwischte, wäre der König vom Verrat seines Vasallen überzeugt.
Falls Rayburn unerkannt entkam, würde er hierher zurückkehren und sie töten. Was wurde dann aus Jamie? Es war undenkbar, dass ihr Sohn allein mit diesem Mann auf der Welt zurückblieb.
Die Kälte der Steinmauer drang durch den schweren Wandbehang in ihrem Rücken und ließ sie zittern. Ihr hohes Fieber war erst in der letzten Nacht zurückgegangen. Sie war die Letzte gewesen, die sich mit der Krankheit, die in der Burg grassierte, angesteckt hatte.
Erschöpft schloss sie die Augen. Wie hatte es so weit kommen können? Sie dachte an die Zeit vor Rayburns Verrat am König zurück – und vor ihrem Verrat an Rayburn.
Der König war sich Rayburns Treue absolut sicher gewesen, als er ihn ihr zum Ehemann gewählt hatte. Mit sechzehn war sie damals eine sehr gute Partie gewesen. Sie verfügte über eine höchst seltene und ansprechende Eigenschaft einer Edeldame: Sie war Alleinerbin ihres kränkelnden Vaters. Mehr noch, sie war Erbin einer der beeindruckendsten Burgen in den Welsh Marshes, dem strategisch bedeutungsvollen Grenzland zwischen England und Wales. Deshalb hatte sich der König persönlich um ihre Verlobung gekümmert.
Mit zehn Jahren war sie einem jungen Mann versprochen worden, dessen Familie wie die ihre eng mit König Richard verbunden war. Die Verbindung verlor jedoch in dem Augenblick ihren Glanz, als Henry Bolingbroke sich des Throns bemächtigte. Deshalb war ihr Vater erfreut gewesen, als
Weitere Kostenlose Bücher