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Meine erste Luege

Meine erste Luege

Titel: Meine erste Luege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Marina Mander
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Krippenfiguren in der Eingangshalle der Schule und den fetten Priester mit den klebrigen Fingern, der mich segnen will.
    Â»Gehe mit Gott.«
    Â»Wenn Sie auch mitkommen, dann nein danke.«
    Und dann werde ich immer trauriger, weil man fröhlicher sein sollte. Ich kann es kaum abwarten, dass es vorbei ist, Weihnachten, dann muss ich nicht mehr dran denken.
    Klar, es gibt Geschenke, aber die reichen nicht immer.
    Â»Packst du die Geschenke denn nicht aus? Das mit der roten Schleife ist von mir, das lila Päckchen ist von Oma, das mit den kleinen Flugzeugen auf dem Papier ist von Giulia. Fröhliche Weihnachten, mein Kleiner!«
    Der Tag nach Weihnachten ist schon besser.
    Auch morgen ist es bestimmt schon besser, vielleicht ist es morgen anders, mein Kleiner. Ich muss nur machen, dass schnell morgen wird.
    Ich nehme das Federbett mit den Wolken mit auf die Couch, den Kater und auch den Koala. Der Wecker gähnt mich mit grünlichen Zahlen im Mars-Code an. Ich versuche die Augen zu schließen.
    Es ist komisch zu schlafen, wenn die Wohnzimmerlampe an ist, aber heute Abend ist mir nicht danach, das Licht auszumachen, mir ist es lieber, dass es so bleibt. Auf dem Bildschirm meiner Augenlider sehe ich unendlich viele Mikroben, die sich fieberhaft bewegen, wie wenn du in ein Mikroskop schaust und die Schuldigen für irgendeine Krankheit erwischst oder wenn du den klaren Himmel betrachtest, wenn er ganz, ganz klar ist, und da sind nur Milliarden von Anführungszeichen ohne Wörter, ohne Erklärungen oder einen Grund dazwischen.
    Bei Oma zu Hause, wo es auch tagsüber Nacht war, tanzten die Staubkörnchen durch die Luft und leuchteten wie Goldbronze, wenn die Sonne durch die Rollläden drang. Ein Strahl kosmischen Staubs im trägen Halbdunkel des Nachmittags, ein schillerndes Schwert, das einem außergewöhnliche Kräfte verleiht: Geheimer Ritter des Großordens der Großen Unordnung, Meister der Kirschkernspucker.
    Ins Dunkel getaucht war auch das Musikzimmer mit Gespensterbettlaken über den Sesseln, Kleiderständern mit Gespenstermänteln und mit vergessenen Instrumenten, die niemand mehr anfasste und die man auf keinen Fall anfassen durfte.
    Â»Du kannst damit üben.«
    Und Oma gab mir die Gitarre in die Hand, um die hart gekochten Eier in Scheiben zu schneiden.
    Das Klavier ist nur für Opas Beerdigung aufgeklappt worden. Oma hat sich aufgeplustert auf den aufgepolsterten Hocker gesetzt, mit glänzenden Augen vom Weinen und von den vielen Trinksprüchen auf ihren Mann, weil er »im Grunde doch ein anständiger Kerl« war.
    Sie hat angefangen, kleine Militärmärsche zu spielen, und ihr lila Haar geschüttelt, vielleicht um zu feiern, dass sie endlich den Oberbefehl über den ganzen Laden hatte. Meine Oma hat lila Haare, darüber habe ich mich immer kaputtgelacht.

2
    Ich höre die Sirene eines Krankenwagens, ich höre sie immer näher kommen. Er ist hier, er hat im Wohnzimmer oder unter meinem Bett geparkt. Die Sirene macht mich taub. Ich halte mir die Ohren zu, doch es hilft nichts, der Lärm geht weiter. Ich werde plötzlich wach, ganz verschwitzt. Der Wecker durchlöchert meinen Schlaf wie die Pressluftbohrer, die unten auf der Straße den Asphalt aufreißen. Ich mache ihn aus und lasse einen schweren Arm auf die Matratze fallen. Es ist nur ein böser Albtraum gewesen, alles ist in Ordnung. Dann fällt es mir wieder ein. Nichts ist in Ordnung. Gar nichts. Was mache ich hier auf der Couch?
    Auch heute Morgen ist Mama nicht aufgestanden.
    Jetzt, wo ich die Sirene und den Presslufthammer, der sich durch die Leere in meinem Kopf bohrt, abgestellt habe, ist es zu still.
    Mama steht nicht mehr auf.
    Jetzt weiß ich wieder alles.
    Ich setze mich hin, um mir die neue Lage anzuschauen: Da sind die Möbel im Wohnzimmer, ein vertrautes und gleichzeitig fremdes Bild, wie im Hotel zu sein oder in der Wohnung von jemand anderem, Blu, der den kleinen Schnurrmotor anwirft.
    Ich muss mir Mut machen, denn Mut habe ich keinen.
    Ich bin wie betäubt, sitze auf der Couch, die Beine gespreizt und die Arme ausgebreitet, in Erwartung, dass ein Paar andere Arme mich hochzieht, so wie sie das früher mit den Säuglingen gemacht haben, nackt und benommen in der Mitte vom Bett, das Foto vom Opa, als er klein war, ein pausbäckiges Opachen, mit Rüschen geschmückt, der kein bisschen aussah wie der eingefallene Alte, den ich

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