Meine Familie, der tägliche Wahnsinn und ich - Gesamtedition (German Edition)
niemand fummelte ungefragt an meinen Brüsten. Schwester Olga versuchte alle Tricks, um Marvin zum Trinken an der Brust zu überreden. Und dann rollte sie eines Tages mit einem großen, furchteinflöße nden Gerät herein – eine elektrische Milchpumpe, die üble Geräusche von sich gab. Ich habe Ines damals aufmunternd zugelächelt, mich schnell weggedreht und gefragt, ob Amnesty International da nicht die Richtigen wären.
Die Flaschennahrung haftete wie ein Makel an mir. Mitleidige Blicke wurden auf mein Kind geworfen, wenn ich ihm den Gummisauger mit der minderwertigen Industriemilch in den Mund steckte.
„Hat es nicht geklappt?“, wurde ich in meinem PEKIP Kurs gefragt. „Nö, ich wollte nicht“, gab ich provozierend zur Antwort und nein, ich hatte mein Nabelschnurblut auch nicht zu Globulis verarbeiten lassen. Die Nachgeburt landete in der Kliniktonne und ich wollte sie mir nicht mal anschauen. Meine Kinder werden niemals musikalische Genies werden, denn keiner der beiden bekam die kleine Nachtmusik von Wolfang Amadeus Mozart auf der Spieluhr durch die Bauchdecke vorgespielt.
Es dauert zehn Minuten bis sich Sara endlich beruhigt. Flaschenkinder sind generell unruhiger, unzufriedener und haben eine höhere Allergieneigung. Ich bin also selber schuld, wenn meine Kinder eine nervöse Störung haben. Nach langem Hin und Her verzichtet sie schließlich auf ihren Umhang, nimmt mir das Versprechen ab, dass sie sich „aber auf jeden Fall das aussuchen kann, was sie will“, und erwähnt beim Zähneputzen fünf bis sechsmal, wie nackt und hilflos sie sich fühlt. Dabei spukt und schäumt es aus ihren Mund.
Die Zahnpastaspritzer lassen sich nicht restlos von meinem roten T-Shirt abrubbeln und so ich werfe eine Strickjacke über, um die Nutellaspur direkt mit zu verdecken. Wann werde ich endlich begreifen, dass Lena ihren Kopf nicht zwecks Zärtlichkeitenaustausch an meiner Schulter reibt, sondern um mich schlicht und ergreifend als größte Serviette der Welt zu missbrauchen?!
Krüger, der Laden in unserer Nähe, feierte erst vor ein paar Tagen seine Neueröffnung. Bernd war mehrere Wochen durch seine Unternehmensberatung in der Hauptzentrale eingesetzt und hat dort diese ganzen wichtigen Konzepte entwickelt. Fast zwei Wochen dauerten allein Umbau und Renovierung. „Der Laden braucht dringend ein neues Make up, muss von vorne bis hinten neu durchorganisiert werden“, erklärte Bernd.
Ich ließ bei den Müttern in der Umgebung natürlich nicht unerwähnt, welche wichtige Rolle ausgerechnet mein Mann in unserem Stammsupermarkt spielte. Krüger ist sowas wie das Akropolis der Lindenstrasse, das Schiller der Schillerstrasse oder das Peach Pit der Beverly Hills Clique, Dreh- und Angelpunkt in unserer Gegend. Direkt um die Ecke liegen Kindergarten, die Turnhalle des Sportvereins und Grundschule. Jeden Montag laufe ich während Saras Kinderturngruppe mit Steffi und Claudia in dem kleinen Bäckerei-Café bei Krügers ein.
„Habt ihr schon mitbekommen? Krüger wird umgebaut. Wir müssen wohl oder übel woanders Kaffeetrinken gehen“, teilte Claudia vor ein paar Wochen mit. Ich zuckte gleichgültig die Schultern. „Ich weiß, Bernd meint, der Markt wird in ein paar Wochen nicht mehr wiederzuerkennen sein“, verriet ich geheimnisvoll.
Tief beeindruckt stehe ich nun vor dem Gebäude. Die neue Fassade erstrahlt in einem leuchtenden Zitronengelb. Eine riesige Leuchtreklame mit dem Krüger Slogan hängt über dem Eingang „Krüger, ihr Familienmarkt – Frische immer frisch auf ihrem Tisch!“
Stolz betrete ich den Eingangsbereich, kann förmlich spüren, wie die Leute innehalten, auf mich deuten und flüstern. „Ist das nicht die Frau von dem Berater, der den Krügermarkt so auf Vordermann gebracht hat? Ich sag ja immer, hinter jedem erfolgreichen Mann steckt eine starke Frau, die ihm den Rücken freihält. Wie sie das so schafft, mit den Kindern und den Haushalt. Und wie gut sie bei dem ganzen Stress noch aussieht. Die kann doch maximal Anfang Dreißig sein.“ Selbstverständlich findet das alles hinter meinem Rücken statt und ich tue so, als wäre ich nur eine ganz normale Hausfrau, die lediglich ein paar Äpfel und Fleisch fürs Mittagessen kauft.
Alle Kinder-Einkaufswagen sind unterwegs. Lena bekommt einen Wutanfall. Ich versuche sie zu beruhigen und mit einem Rosinenstüttchen vom Bäcker zu bestechen.
„Komm Lenchen, Mama kauft dir ein Brötchen.“
„Guck mal
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