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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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sie sich, den Bleistift in der Hand, auf die Veranda und las ihnen laut vor, und wachsam und argwöhnisch, wie sie waren, behielten die Kinder sie die ganze Zeit über im Auge, denn sie glaubten, dass sie die besonders befriedigenden Passagen streichen würde. Ihr Verdacht war wohlbegründet. Die Passagen, die die Kinder besonders befriedigend fanden, enthielten stets ein Moment der Intensität, das unbedingt abgeändert oder zensiert werden musste – was die Hand ihrer Mutter unfehlbar besorgte. Zu meiner eigenen Unterhaltung und um den Protest der Kinder auszukosten, missbrauchte ich oft das unschuldige Vertrauen meiner Lektorin. Mit Absicht fügte ich häufig wohlüberlegte Bemerkungen trefflich grausamer Art ein, um bei den Kindern kurzes Entzücken hervorzurufen und dann mitzuerleben, wie der hartherzige Stift sein tödliches Urteil fällte. Oft schloss ich mich den flehentlichen Bitten der Kinder um Gnade an, zog den Streit in die Länge und tat so, als meinte ich es ernst. Sie fielendarauf herein und ihre Mutter ebenso. Es war sehr unfair, drei gegen einen. Aber es war auch sehr ergötzlich, und ich konnte der Versuchung nicht widerstehen. Hin und wieder errangen wir einen Sieg, und es herrschte großer Jubel. Später dann strich ich die Passage insgeheim. Sie hatte ihren Zweck erfüllt. Sie hatte drei von uns mit guter Unterhaltung versorgt, und wenn ich sie aus dem Buch entfernte, erlitt sie nur mehr das Schicksal, das ihr ursprünglich zugedacht war.
     
    Aus Susys Biographie
     
    Papa ist in Missouri geboren. Seine Mutter ist Grandma Clemens (Jane Lampton Clemens) aus Kentucky. Grandpa Clemens kam aus einer der Ersten Familien Virginias.
     
    Zweifellos war ich es, der Susy diesen Eindruck vermittelt hatte. Wie ich das tat, kann ich mir nicht vorstellen, denn mein Leben lang habe ich mich von Größe, die sich aus dem Zufall der Geburt ergibt, nie sonderlich beeindrucken lassen. Von meiner Mutter hatte ich diese Gleichgültigkeit nicht geerbt. Sie hatte immer großes Interesse an unserem Familienstammbaum. Ihre eigene Linie verfolgte sie zurück bis zu den Lambtons in Durham, England – einer Familie, die dort seit der Zeit der Angelsachsen große Ländereien besessen hatte. Ich bin mir nicht sicher, aber ich glaube, die Lambtons waren acht- oder neunhundert Jahre lang ohne Adelstitel ausgekommen, dann brachten sie vor einem Dreivierteljahrhundert einen bedeutenden Mann hervor und wurden in den Adelsstand erhoben. Meine Mutter wusste alles über die Clemens von Virginia und liebte es, sie vor mir zu verherrlichen, aber jetzt ist sie schon lange tot. Es gibt niemanden mehr, der die Details in meinem Gedächtnis frisch halten würde, und so sind sie undeutlich geworden.
    Es gab einen Jere Clemens, der US-Senator war und seinerzeit den üblichen Ruhm eines Senators genoss – einen Ruhm, der vergänglich ist, ob er nun vier oder vierzig Dienstjahren entspringt. Als Jere Clemens’ Ruhm als Senator längst verblasst war, erinnerte man sich seiner noch viele Jahre langeiner anderen Leistung wegen, die er erbracht hatte. Bei einem Duell erwischte er Wise, den Gouverneur des alten John Brown, hinten am Bein. Allerdings weiß ich das nicht mehr so ganz genau. Kann sein, dass Gouverneur Wise
ihn
hinten am Bein erwischte. Wie auch immer, ich halte es nicht für wichtig. Ich glaube, wichtig ist einzig und allein, dass einer der beiden hinten am Bein erwischt wurde. Es wäre besser und vornehmer, geschichtsträchtiger und befriedigender gewesen, wenn beide hinten am Bein erwischt worden wären – aber es hat keinen Zweck, mir den Ablauf der Geschichte in Erinnerung rufen zu wollen, Geschichtssinn hatte ich noch nie. Lassen wir das. Was immer geschah, ich freue mich darüber, und das ist so viel an Begeisterung, wie ich überhaupt für einen Menschen, der meinen Namen trägt, aufbringen kann. Aber ich vergesse den
ersten
Clemens – denjenigen, der dem wirklich ursprünglichen
ersten
Clemens zeitlich am nächsten stand, nämlich Adam.
    Montag, 12. Februar 1906
    Susys Biographie wird fortgesetzt – Einige der Streiche, die in
Tom Sawyer
gespielt werden – Die zerbrochene Zuckerdose – Schlittschuhlaufen
auf dem Mississippi mit Tom Nash usw.
    Aus Susys Biographie
     
    Clara und ich sind uns sicher, dass Papa bei einer Tracht Prügel Grandma den Streich gespielt hat, der in
Tom Sawyers Abenteuer
erzählt wird: »Reich mir mal die Rute her!« – Die Rute schwebte in der Luft. Es bestand höchste Gefahr. – »O

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