Meine geheime Autobiographie - Textedition
und die Blumentöpfe mit hinunterriss, als meine Mutter gerade noch rechtzeitig kam, um in starrem Staunen über ihre Brille hinwegzublicken und zu fragen: »Was in aller Welt ist mit Peter los?«
Ich weiß nicht mehr, welche Erklärung ich vorbrachte; sollte sie aber in jenem Buch verzeichnet sein, ist es womöglich nicht die richtige.
Wenn mein Verhalten von so extremer Ungebührlichkeit war, dass die improvisierten Strafen meiner Mutter nicht ausreichten, sparte sie die Angelegenheit für sonntags auf und hieß mich am Sonntagabend zur Kirche gehen – eine Strafe, die manchmal erträglich sein mochte, meistens aber nicht, und die ich meiner Konstitution zuliebe mied. Sie glaubte mir erst, dass ichzur Kirche gegangen war, wenn sie ihren Test durchgeführt hatte: Sie ließ mich die Predigt nacherzählen. Das war einfach und verursachte mir kein Kopfzerbrechen. Ich brauchte nicht zur Kirche zu gehen, um einen Predigttext zu finden. Ich suchte mir selbst einen aus. Das lief ausgezeichnet, bis einmal mein Text und der, von dem eine Kirchgängerin aus der Nachbarschaft berichtete, nicht übereinstimmten. Danach ging meine Mutter zu anderen Methoden über. Zu welchen, weiß ich nicht mehr.
Im Winter trugen Männer und Knaben damals ziemlich lange Mäntel. Sie waren schwarz und mit grellbuntem auffälligem Schottenstoff gefüttert. Eines Winterabends, als ich wieder einmal zur Kirche gehen sollte, um für ein Verbrechen zu büßen, das ich während der Woche begangen hatte, versteckte ich meinen Mantel am Tor, lief davon und spielte mit den anderen Jungen, bis die Kirche zu Ende war. Dann ging ich wieder nach Hause. Dabei zog ich den Mantel im Dunkeln verkehrt herum an, trat ins Zimmer, warf den Mantel ab und wurde der üblichen Prüfung unterzogen. Ich schlug mich recht wacker, bis die Temperatur in der Kirche zur Sprache kam. Meine Mutter sagte:
»Es muss unmöglich gewesen sein, sich an einem solchen Abend in der Kirche warm zu halten.«
Ich erkannte die List dieser Bemerkung nicht und war töricht genug, zu erklären, ich hätte meinen Mantel die ganze Zeit über anbehalten. Sie fragte, ob ich ihn auch auf dem Heimweg anbehalten hätte. Ich merkte immer noch nicht, worauf sie hinauswollte. Ich bejahte, so sei es gewesen. Sie sagte:
»Du hast ihn in der Kirche mit dem leuchtend roten Schottenmuster nach außen getragen? Hat das nicht Aufmerksamkeit erregt?«
Natürlich wäre es mühsam und zwecklos gewesen, einen solchen Dialog fortzusetzen, und so ließ ich es sein und nahm die Folgen auf mich.
Das war um 1849. Tom Nash war ein Junge in meinem Alter – Sohn des Postamtsvorstehers. Der Mississippi war zugefroren, und eines Nachts gingen wir zusammen Schlittschuh laufen, vermutlich ohne Erlaubnis. Ich kann mir nicht vorstellen, weshalb wir nachts Schlittschuh gelaufen wären, es sei denn ohne Erlaubnis, denn nächtliches Schlittschuhlaufen hätte keinen besonderenSpaß gemacht, wenn nicht jemand etwas dagegen einzuwenden hatte. Gegen Mitternacht, als wir mehr als eine halbe Meile Richtung Illinois-Ufer draußen waren, hörten wir zwischen uns und dem heimatlichen Flussufer ein verdächtiges Knacken, Knirschen und Krachen und wussten, was das zu bedeuten hatte – das Eis brach. Ziemlich verängstigt traten wir den Rückweg an. Wann immer das zwischen den Wolken hindurchsickernde Mondlicht uns zeigte, wo Eis war und wo Wasser, huschten wir in voller Fahrt dahin. In den Pausen warteten wir; glitten weiter, wenn es eine gute Eisfläche gab; pausierten wieder, wenn wir an offenes Wasser kamen, und warteten verzweifelt, bis eine riesige Eisscholle die Stelle überbrücken half. Eine Stunde brauchten wir für den Rückweg – einen Weg, den wir in elender Angst zurücklegten. Endlich war das Ufer in greifbarer Nähe. Wieder warteten wir; es gab nur noch eine Stelle, die überbrückt werden musste. Um uns herum barst das Eis, schob sich knirschend übereinander und türmte sich am Ufer zu Bergen, und die Gefahr nahm zu statt ab. Wir wurden immer ungeduldiger, festen Grund zu erreichen, und so brachen wir zu früh auf und sprangen von Scholle zu Scholle. Tom verschätzte sich und fiel ins Wasser. Er nahm ein bitterkaltes Bad, war aber schon so dicht am Ufer, dass er nur ein oder zwei Züge zu schwimmen brauchte – dann hatte er festen Boden unter den Füßen und kroch heraus. Ich traf etwas später ein, ohne Missgeschick. Wir waren schweißüberströmt, und Toms Bad wurde ihm zum Verhängnis. Er landete im Bett und
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