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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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eine alte Farmersfrau und wohnte fünf Meilen von Hannibal entfernt. Sie legte dem Patienten die Hand an das Kinn und sprach: »Vertraue!«, und die Heilung erfolgte prompt. Mrs. Utterback. Ich kann mich noch gut an sie erinnern. Zweimal bin ich, hinter meiner Mutter auf dem Pferd sitzend, zu ihr geritten und habe einer erfolgreichen Behandlung beigewohnt. Die Patientin war meine Mutter.
    Wenig später zog Dr. Meredith nach Hannibal und wurde unser Hausarzt. Mehrere Male hat er mir das Leben gerettet. Trotzdem war er ein redlicher Mann und meinte es gut. Lassen wir’s dabei bewenden.
    Man hat mir immer gesagt, ich sei ein kränkliches, auffälliges, anstrengendes und launenhaftes Kind gewesen und hätte während der ersten sieben Jahre meines Lebens hauptsächlich von den Mitteln der Schulmedizin gelebt. Ich fragte meine Mutter danach, als sie schon alt war – im achtundachtzigsten Lebensjahr:
    »Ich nehme an, du hast dir all die Zeit Sorgen um mich gemacht?«
    »Ja, die ganze Zeit.«
    »Aus Angst, ich würde nicht überleben?«
    Nach einer nachdenklichen Pause – offenbar um sich die Tatsachen ins Gedächtnis zurückzurufen:
    »Nein, aus Angst, du würdest überleben.«
    Es klingt wie ein Plagiat, aber vermutlich war es keins.
    Das Landschulhaus stand drei Meilen von der Farm meines Onkels entfernt auf einer Waldlichtung und bot Platz für nahezu fünfundzwanzig Jungen und Mädchen. Im Sommer besuchten wir die Schule ziemlich regelmäßig ein- oder zweimal die Woche; in der Kühle des Morgens liefen wir die Waldwege hin und am Ende des Tages in der Dämmerung wieder zurück. Alle Schüler brachten ihr Mittagessen in Körben mit – Maisknödel, Buttermilch und andere Köstlichkeiten –, setzten sich damit in den Schatten der Bäume und verzehrten es. Dies ist der Teil meiner Schulbildung, auf den ich mit größter Zufriedenheit zurückblicke. An meinem ersten Schultag war ich sieben Jahre alt. Eine dralle Fünfzehnjährige, angetan mit herkömmlichemSonnenhut und Kattunkleid, fragte mich, ob ich Tabak »benutze« – sie meinte, ob ich Tabak kaue. Ich verneinte. Damit erntete ich ihren Hohn. Sie erstattete der ganzen Gruppe Bericht und sagte:
    »Hier ist ein Siebenjähriger, der keinen Tabak kauen kann.«
    An den Blicken und den Bemerkungen, die dieser Satz hervorrief, merkte ich, dass ich ein Etwas niederer Art war; es beschämte mich maßlos, und ich beschloss, mich zu bessern. Aber ich erreichte nur, dass mir übel wurde; ich konnte das Tabakkauen einfach nicht erlernen. Tabak rauchen lernte ich recht gut, doch das stimmte niemanden versöhnlich, und ich blieb ein armer Tropf ohne jeden Charakter. Ich sehnte mich danach, respektiert zu werden, vermochte aber nicht aufzusteigen. Kinder haben nur wenig Verständnis für die Schwächen der anderen.
    Bis ich zwölf oder dreizehn war, hielt ich mich, wie gesagt, einen Teil des Jahres auf der Farm auf. Die Zeit, die ich mit meinen Cousins dort verbrachte, war voller Zauber, und so sind auch meine Erinnerungen daran. Ich kann mir das feierliche Zwielicht und das Geheimnis der Wälder ins Gedächtnis rufen, den Geruch von Erde, den schwachen Duft der Wildblumen, den Schimmer von regennassem Laub, das Platschen der Tropfen, wenn der Wind die Bäume schüttelte, das ferne Klopfen der Spechte und das gedämpfte Trommeln der Fasane in der Abgeschiedenheit des Waldes, den flüchtigen Anblick aufgescheuchter wilder Geschöpfe, die durchs Gras huschen – all das kann ich mir ins Gedächtnis rufen, bis es mir so wirklich und so gesegnet erscheint wie damals. Ich kann mir die Prärie ins Gedächtnis rufen, ihre Einsamkeit und ihren Frieden, einen riesigen Habicht, der mit ausgebreiteten Schwingen reglos am Himmel hing, und das Blau des Himmelsgewölbes, das sich durch die Fransen der Flügelfedern zeigte. Ich sehe die Wälder in ihrem Herbstkleid, die Eichen rötlich, die Hickorybäume golden überzogen, Ahorne und Sumachs feuerrot leuchtend, und höre das Rascheln der abgefallenen Blätter, wenn wir hindurchstapften. Ich sehe die blauen Trauben der wilden Weinreben, die im Blattwerk der Schösslinge hingen, und erinnere mich an ihren Geschmack und an ihren Geruch. Ich weiß noch, wie die wilden Brombeeren aussahen und schmeckten; das Gleiche gilt für die Pawpaws, die Haselnüsse und die Dattelpflaumen; und ich spüre noch den prasselndenRegen aus Hickory- und Walnüssen auf meinem Kopf, wenn wir im frostigen Morgengrauen unterwegs waren, um uns mit den Schweinen um sie zu

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