Meine geheime Autobiographie - Textedition
euch doch, der Frau fehlt nichts – sie ist nurträge. Was sie braucht, ist ein Beefsteak und eine Waschschüssel. Mit ihrer verdammten gesellschaftlichen Dressur –«
Da richtete sich die sterbende Frau im Bett auf, und ihre Augen sprühten vor Kampfeslust. Sie schüttete ihr ganzes gekränktes Wesen über den Arzt aus – ein Vulkanausbruch, begleitet von Blitz und Donner, Wirbelwinden und Erdbeben, Bimsstein und Asche. Es war genau die Reaktion, die er haben wollte, und sie wurde gesund. Das war der verstorbene Dr. McDowell, dessen Name ein Jahrzehnt vor dem Bürgerkrieg im Tal des Mississippi so bekannt war und so hohes Ansehen genoss.
Kapitel
Hinter der Straße, auf der sich die Schlangen sonnten, begann ein dichtes junges Dickicht, durch das eine Viertelmeile weit ein schwach beleuchteter Pfad führte; aus dem Schummerlicht gelangte man unversehens auf eine große, ebene Prärie, die von wilden Erdbeerpflanzen bedeckt, mit Prärienelken übersät und auf allen Seiten von Wäldern umgeben war. Die Erdbeeren dufteten und schmeckten köstlich, und in der Erntezeit kamen wir meist schon in der kühlen Frische des frühen Morgens an diese Stelle, wenn auf dem Gras noch die Tautropfen glitzerten und die Wälder vom Gesang der ersten Vögel widerhallten.
Am Waldhang zur Linken hingen die Schaukelseile. Sie bestanden aus der Rinde junger Hickorystämme. Wenn sie zu trocken wurden, waren sie gefährlich. Gewöhnlich rissen sie genau dann, wenn sich ein Kind zehn, fünfzehn Meter hoch in der Luft befand, und deshalb mussten jedes Jahr so viele Knochen zusammengeflickt werden. Ich selbst hatte nie Pech, aber von meinen Cousins kam keiner ungeschoren davon. Es waren acht, und irgendwann hatten sie sich insgesamt vierzehn Arme gebrochen. Immerhin verursachte es so gut wie keine Kosten, denn der Arzt wurde jahrweise bezahlt – $ 25 für die ganze Familie. Ich erinnere mich an zwei Ärzte in Florida, Chowning und Meredith. Nicht nur behandelten sie eine ganze Familie für $ 25 pro Jahr, sie versorgten sie auch mit Arzneien, und zwar großzügig. Nur die ausgewachsenstePerson konnte eine volle Dosis verkraften. Das Hauptgetränk war Rizinusöl. Die Dosis betrug einen halben Schöpflöffel, dem ein halber Schöpflöffel New-Orleans-Zuckerrohrsirup beigegeben wurde, damit man das Öl hinunterspülen konnte und damit es besser schmeckte, was es nicht tat. Das nächste Hausmittel war Kalomel; danach Rhabarber; dann Kermesbeeren. Anschließend schröpfte man den Patienten und legte ihm Senfpflaster auf. Es war ein schreckliches Regime, und doch war die Sterberate niedrig. Das Kalomel regte fast immer den Speichelfluss des Patienten an und kostete ihn einige Zähne. Zahnärzte gab es nicht. Wenn die Zähne von Karies befallen waren oder sonst wie schmerzten, gab es nur eins: Der Arzt holte seine Zange und zog ihn heraus. Blieb der Kiefer unversehrt, war das nicht sein Verdienst.
Bei gewöhnlichen Krankheiten wurde kein Arzt hinzugezogen, die übernahm die Großmutter der Familie. Jede alte Frau war eine Ärztin, sammelte in den Wäldern ihre eigenen Arzneien und konnte Mittelchen mischen, die die lebenswichtigen Organe eines gusseisernen Hundes wach gerüttelt hätten. Und dann war da noch der »indianische Medizinmann«: ein dunkler Wilder, Relikt seines Stammes, bestens bewandert in den Mysterien der Natur und den geheimen Eigenschaften von Kräutern. Die meisten Hinterwäldler hatten großes Vertrauen in seine Heilkräfte und konnten von Wundern berichten, die er vollbracht hatte. Auf Mauritius, in der fernen Einsamkeit des Indischen Ozeans, gibt es jemanden, der unserem indianischen Medizinmann vergangener Zeiten entspricht. Er ist Neger und hat keine ärztliche Ausbildung genossen, und doch gibt es eine Krankheit, deren er Herr geworden ist und die er heilen kann, während die Ärzte es nicht vermögen. Liegt ein Fall vor, schickt man nach ihm. Es handelt sich um eine sonderbare tödliche Kinderkrankheit, und der Neger heilt sie mit einer Kräutermischung, die er selbst herstellt, nach einem Rezept, das von seinem Vater und seinem Großvater auf ihn gekommen ist. Keinen anderen lässt er es sehen. Das Geheimnis der Bestandteile behält er für sich, und man fürchtet, dass er sterben wird, ohne es je preisgegeben zu haben; dann wird Bestürzung herrschen auf Mauritius. 1896 haben mir die Leute dort davon erzählt.
Auch eine »Gesundbeterin« hatten wir in jenen frühen Tagen. Ihr Fachgebiet waren Zahnschmerzen. Sie war
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