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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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nie zugestellt.
    Eine andere von Keys Regeln besagte, dass Briefanschriften nicht mit »Philadelphia« – ja nicht einmal mit »Chicago«, »San Francisco«, »Boston« oder »New York« enden dürften, sondern immer der
Staat
hinzugefügt werden müsse, andernfalls weg damit in die Abteilung für unzustellbare Briefe. Außerdem dürfe man nicht »New York, N. Y.« schreiben, sondern müsse dem ersten »New York« das Wort »City« beifügen, andernfalls weg damit in die Abteilung für unzustellbare Briefe.
    Innerhalb der ersten dreißig Tage unter der Herrschaft dieser einzigartigen Regel landeten allein vom New Yorker Postamt eine Million und sechshunderttausend Tonnen Post in der Abteilung für unzustellbare Briefe. Die Abteilung konnte sie nicht alle aufnehmen, und die Briefe stapelten sich vor dem Gebäude in der Hauptstadt. Vor dem Gebäude war nicht genügend Platz, und so errichtete man um die Stadt einen Schutzwall aus Briefen; hätte man diesen schon zu Zeiten des Bürgerkriegs gehabt, wäre uns einiges an Sorgen und Unbehagen über eine Invasion Washingtons durch die konföderierten Truppen erspart geblieben. Sie hätten weder über noch unter der Brustwehr hindurchklettern, sie weder durchbohren noch in die Luft sprengen können. Mr. Key wurde schnell zur Vernunft gebracht.
    Ein andermal erreichte mich ein Brief in einem frischen Umschlag. Erstammte von einem Dorfpriester in Böhmen oder Galizien und war kühn adressiert an:
     
    Mark Twain
    Irgendwo
     
    Er hatte mehrere europäische Länder durchreist; er war auf seiner weiten Reise gastfreundlich aufgenommen worden und hatte allen möglichen Beistand erfahren; er war beidseitig mit einer Bordüre aus Poststempeln – insgesamt neunzehn Stück – versehen worden. Und einer davon war ein New Yorker Poststempel. Die amtliche Gastfreundschaft hatte in New York geendet – dreieinhalb Stunden von meinem Haus entfernt. Dort war der Brief geöffnet, die Adresse des Priesters festgestellt und der Brief wie im Fall von Dr. John Brown zurückgeschickt worden.
    In Mrs. Clemens’ Sammlung befand sich auch eine seltsame Anschrift auf einem Brief aus Australien mit folgendem Wortlaut:
     
    Mark Twain
    Gott weiß wo
     
    Diese Anschrift wurde während der Reise des Briefes hier und da in den Zeitungen erwähnt und regte zweifellos eine weitere kuriose Anschrift an, die sich ein Fremder in einem entlegenen Land ausgedacht hatte – hier der Wortlaut:
     
    Mark Twain
    Irgendwo
    (Versuchen Sie’s bei Satan)
     
    Das Vertrauen des Fremden wurde nicht enttäuscht. Höflicherweise stellte Satan den Brief zu.
    Die heutige Morgenpost bringt eine weitere Neuheit. Der Brief kommt aus Frankreich – von einer jungen Engländerin – und ist adressiert an 22 :
     
    Mark Twain
     
    c/o Präsident Roosevelt
    Das Weiße Haus
    Washington
    Amerika
     
    USA
     
    Er kam nicht etwa verzögert an, sondern geradewegs hierher, versehen mit dem Washingtoner Poststempel von gestern.
    In einem Tagebuch, das Mrs. Clemens vor vielen langen Jahren eine kleine Weile geführt hat, finde ich verschiedene Hinweise auf Mrs. Harriet Beecher Stowe, die damals in Hartford unsere unmittelbare Nachbarin war, ohne auch nur einen trennenden Zaun. Und in jenen Tagen nutzte sie bei schönem Wetter unser Grundstück ebenso oft wie ihr eigenes. Ihr Verstand war marode, und sie war eine mitleiderregende Gestalt. Den ganzen Tag wanderte sie in der Obhut einer muskulösen Irin umher. In unserer Nachbarschaft ließen die Anwohner bei schönem Wetter stets die Türen offen. Mrs. Stowe trat nach Belieben ein, und da sie immer samtene Pantoffeln trug und meist voll animalischer Instinkte war, überraschte sie einen schon mal, was sie gerne tat. Dann schlich sie sich von hinten an eine in Träumereien und Grübeleien versunkene Person heran und ließ ein solches Kriegsgeschrei ertönen, dass der Betreffende aus den Kleidern fuhr. Doch kannte sie auch andere Stimmungen. Manchmal hörten wir aus dem Salon zarte Musik und fanden sie am Klavier vor, wie sie unglaublich rührend schwermütige alte Weisen sang.
    Ihr Mann, der alte Professor Stowe, gab eine malerische Figur ab. Er trug einen breiten Schlapphut. Er war ein großer Mann und ausgesprochen ernst. Sein Bart war weiß und dicht und reichte ihm bis zur Brust. Seine Nase, von einer Krankheit vergrößert und entstellt, sah aus wie ein Blumenkohl. Als unsere kleine Susy ihm auf der Straße in der Nähe unseres Hauses zum ersten Mal begegnete, kam sie mit weit

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