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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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In der Morgenzeitung stieß ich auf einen Satz von anderer Art:
     
    Vor dem Fall Cornelius Lean hatte es keinen Todesfall gegeben, der eingetreten wäre und mit dem Tod geendet hätte, seit die Sonderregelungen aufgestellt worden waren.
     
    Aus dem Kontext kann ich erschließen, was das bedeuten soll; Sie hingegen müssen ohne das erhellende Licht dieses Kontexts auskommen und werden sich mit Sicherheit eine Bedeutung zusammenreimen, die der Autor gar nicht vermitteln wollte.
    [Eine Gruppe von Bediensteten]
    ***
4. Juni, Kaltenleutgeben.
In dieser Familie sind wir zu viert. Wenn sich eine Familie an eine Gruppe von Bediensteten gewöhnt hat, deren jeweiliges Arbeitsverhältnis die folgenden Zeiträume umfasst: 10 Jahre, 12 Jahre, 13 Jahre, 17 Jahre, 19 Jahre und 22 Jahre, so ist sie nicht auf Anhieb in der Lage, die Gepflogenheiten einer neuen Gruppe zu verstehen. So wäre es jedenfalls daheim; außer Landes steht es noch ärger. Unseren Haushalt führen wir jetzt seit vierzehn Tagen – lange genug, um gelernt zu haben, wie man die Namen der Bediensteten ausspricht, nicht aber, um sie auch buchstabieren zu können. Wir werden nie lernen, sie zu buchstabieren; ersonnen worden sind sie in Ungarn und Polen, und auf dem Papier wirken sie auf uns wie das Alphabet auf einen Betrunkenen. Es sind ihrer vier: zwei Zimmermädchen, eine Köchin und eine Frau mittleren Alters, die ein-, zweimal am Tag kommt, um auszuhelfen. Sie sind gutmütig und freundlich, tüchtig und anstellig. Ihre Gepflogenheiten entsprechen nicht den Gepflogenheiten, die wir von unserem heimatlichen Volksstamm in Amerika gewöhnt sind, aber sie sind umgänglich, und bis auf ein, zwei Kleinigkeiten gibt es nichts an ihnen zu beanstanden. Die Köchin ist ein Herzchen, aber sie redet mit einer Geschwindigkeit, einer freudigen Anteilnahme und Energie, dass allen der Kopf schwirrt. Sie ist immer aufgeregt; lässt sich von großen wie von kleinen Dingen aufregen, denn sie besitzt kein Augenmaß. Ob es sich um einen Stier am Spieß oder um ein portioniertes Schnitzel handelt, tut nichts zur Sache, sie verliert darüber den Verstand; sie lässt ihrer Zunge freien Lauf, und solange ihr nicht der Atem ausgeht, kann man ihr Geschwätz von einer großen Debatte im österreichischen Parlament nicht unterscheiden. Aber was macht es schon, solange sie kochen kann? Und das kann sie. Sie beherrscht jene geheimnisvolle Kunst, die in der Welt so selten ist – die Kunst, alles, was der Zauberkraft ihrer Hände verfällt, schmackhaft zu machen. Sie ist die Sorte Köchin, die schon mit der ersten Mahlzeit Vertrauen einflößt; so tiefes Vertrauen, dass man von da an die Zutaten der Speisen oder deren Namen gar nicht mehr wissen will; es reicht, dass sie ihnen ihren Stempel aufgedrückt hat.
    Das jüngere der beiden Zimmermädchen, Charlotte, ist um die zwanzig; kräftig, hübsch, tüchtig, klug, selbstgenügsam, ruhig – im Grunde eher zurückhaltend. Sie besitzt Charakter und Würde.
    Das andere Zimmermädchen, Wuthering Heights (Sturmhöhe, so heißt sie natürlich nicht), ist etwa vierzig, sieht aber erheblich jünger aus. Sie ist schlagfertig, gescheit, rührig, energiegeladen, lebhaft, gutmütig, hat eine schrille, laute Stimme, redet wie ein Wasserfall, redet unablässig, redet im Schlaf, wird noch reden, wenn sie tot ist; ist hier und dort und überall gleichzeitig und hat ein verzehrendes Interesse an allem Teuflischen, das vor sich geht, besonders wenn es nicht sie betrifft. Und keineswegs nur ein passives Interesse, vielmehr spielt sie selbst eine Rolle, und nicht irgendeine Rolle, sondern die Hauptrolle; ja, sie bestreitet das ganze Spiel, schlägt die Schlacht allein, wenn man keinen Weg findet, sie von der Flanke her zu erwischen. Da sie das alles jedoch im Interesse der Familie betreibt, nicht in ihrem eigenen, fällt es mir schwer, ihr Vorwürfe zu machen. Anders die Familie. Die Familie ärgert sich. Das gefällt mir. Nicht aus Boshaftigkeit, sondern weil der Anblick einer sich ärgernden Familie der Eintönigkeit Würze gibt. Manchmal werden sie bis zu einem Punkt getrieben, an dem sie überzeugt sind, sie nicht länger ertragen zu können, dann revoltieren sie; ich aber achte darauf, dass ihr nichts geschieht, denn ich vergöttere Wuthering Heights. Sie stört mich nicht, sie erfrischt mein Leben, sie hält mein Interesse wach. Sie ist nicht monoton, wird nicht schal, steckt voller Überraschungen, immer wieder bricht es andernorts aus ihr heraus. Die

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