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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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Familie versucht sie abzurichten, versucht sie abzudichten, aber das bereitet mir längst kein Unbehagen mehr, denn ich weiß, dass sie, sobald man ein Leck gestopft hat, an anderer Stelle undicht wird. Ihr Gerede ist mein Zirkus, meine Menagerie, mein Feuerwerk, mein geistiges Labsal. Wenn sie loslegt, wäre ich lieber bei ihr als vor dem Kamin. Mit mir redet sie nur wenig, denn ich verstehe nur etwa die Hälfte von dem, was sie sagt, und bin klug genug, mir nicht anmerken zu lassen, dass ich diese Hälfte verstehe. Aber wenn sie mit der Hausherrin am anderen Ende des Hauses redet, öffne ich meine Tür, dann bekomme ich alles mit, und mein Genuss ist ungetrübt, als hätte ich zu einer Show eine Freikarte. Der Hausherrin bereitet sie Kopfschmerzen. Das bedauere ich natürlich,aber es lässt sich nun einmal nicht ändern. In dieser Welt müssen wir die Dinge nehmen, wie wir sie vorfinden.
    Die Bemühungen der Hausherrin, Wuthering Heights umzumodeln, sind von Klugheit, Geduld und sanfter Überredungskunst gekennzeichnet. Irgendwann wird sie Erfolg haben, und das ist schade. Heute Morgen um halb neun lag ich in meinem Bett und täuschte Schlaf vor; die Hausherrin lag in ihrem und versuchte Wuthering Heights gut zuzureden, die gerade heißes Wasser gebracht hatte und hierhin, dahin und dorthin flitzte, ein Bad bereitete, in Blitzesschnelle tausenderlei Dinge richtete und sich dabei mit einem Wortschwall umgab, den sie zu leisem Gemurmel dämpfte, um mich nicht aufzuwecken.
    »Du redest zu viel, Wuthering Heights, wie oft habe ich dir das schon gesagt. Es ist dein zweitschlimmster Fehler, und du solltest dein Bestes versuchen, ihn dir abzugewöhnen. Ich –«
    »Ach ja, das stimmt, gnädige Frau, Sie sprechen die reine Wahrheit, niemand weiß das besser als ich, und niemand bedauert es mehr. Jesses! Aber wie Sie in Ihrer Güte schon fünfzigmal gesagt haben, es ist eben ein verdammter Charakterfehler, und –«
    »
Nicht!
Solche Wörter benutze ich nie – und möchte sie auch nicht hören. Sie sind entsetzlich. Ich weiß, dir bedeuten sie nichts, sie sind dir zur Gewohnheit geworden, du hast sie mit der Muttermilch eingesogen; aber es peinigt mich, sie zu hören, außerdem legst du sie immer
mir
in den Mund, was –«
    »Ach, Gott segne Ihr gütiges Herz, gnädige Frau, nach einer Weile werden Sie sich nicht mehr daran stören; unangenehm ist’s Ihnen doch nur, weil es befremdlich und neu für Sie ist; aber das wird sich bald geben, und dann – ach, es ist doch nur eine von diesen kleinen Nichtigkeiten, die nichts zu bedeuten haben, wissen Sie – wir fluchen doch alle, der Priester flucht, alle Welt flucht, und es ist nichts, wirklich gar nichts; aber ich werd’s mir abgewöhnen, das werd ich und werd gleich damit anfangen, denn zu meiner Zeit habe ich hier und dort gelebt und Dinge gesehen und Klugheit gelernt und weiß besser als so manch einer, dass es nur einen rechten Zeitpunkt gibt, mit etwas ernst zu machen, und das ist vom Fleck weg. Ach ja, bei Gott, wie Euer Gnaden erst gestern sagte –«
    »Da, schon wieder – sei still! Man kann seinen Kopf darauf verwetten, wenn man dir gegenüber auch nur die geringste Bemerkung macht, löst sie jedes Mal eine Sturzflut aus. Und dein Geplapper wird noch meinen Mann aufwecken, und der« – nach einer kleinen Pause, um Mut für eine vorsätzliche Falschaussage zu sammeln – »der erträgt es einfach nicht.«
    »Ich werde schweigen wie ein Grab! Das werde ich, denn Schlaf ist für die Müden, Schlaf ist die Arznei, die den matten Geist erquickt. Heilige Mutter Gottes! Bevor ich –«
    »Sei
still!
«
    »Zu Befehl. Wenn –«
    »Still!«
    Nach einer kurzen Pause setzte die Hausherrin zu einer taktvollen und niedrig temperierten Belehrung an, die mit jedem Wort verriet, dass sie sie sich vorher zurechtgelegt hatte. Ich kenne solche mühelosen Stegreifreden und wie sie verfertigt werden, bin ich doch selbst in diesem Gewerbe tätig gewesen. Ich habe vergessen zu erwähnen, dass Wuthering Heights nicht immer als Untergebene gedient hat; in den vergangenen zehn Jahren war sie Haushälterin bei einer reichen Wiener Familie gewesen; insofern hat sie natürlich die starke Gewohnheit, andere herumzukommandieren.
    »Die Köchin und Charlotte beschweren sich, dass du dich in ihre Angelegenheiten einmischst. Das ist nicht recht. Es steht dir nicht zu.«
    »O Joseph und Maria, Moses und alle Heiligen! Nun hör dir das an! Wenn die Herrin nicht im Hause ist, muss doch jemand

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