Meine geheime Autobiographie - Textedition
–«
»Nein, es muss überhaupt niemand. Die Köchin sagt, dass der Kaffee gestern Morgen kalt war, weil du ihn vom Herd genommen hast, und als sie ihn wieder draufgestellt hat, hast du ihn wieder vom Herd genommen.«
»Ach, aber was
soll
man da tun, gnädige Frau? Der Kaffee war doch schon ganz verkocht.«
»Ganz gleich, es ging dich nichts an. Und gestern Morgen wolltest du Madame Blank nicht einlassen und hast ihr gesagt, es sei niemand zu Hause. Mein Mann war aber zu Hause. Zu schade – dabei war sie die ganze weite Strecke aus Wien gekommen. Warum hast du das getan?«
»Sie einlassen? Ich bitte Sie, sollte ich sie einlassen? Er war doch bei derArbeit und wollte nicht gestört werden, bis zur Halskrause hat er in Arbeit gesteckt und sich Gott weiß wie abgequält, es geht ja über meinen Horizont, aber er hat mein Mitgefühl, keiner fühlt mehr mit ihm als ich, wenn er so in seinem Wochenbett liegt –
sollte
ich sie da etwa einlassen, damit sie ihn unnütz bei der Arbeit unterbricht, wo sie doch keinen vernünftigen Grund in der Welt hatte, ihn zu behelligen. Wie
könnte
ich?«
»Woher weißt du denn, was sie wollte?«
Dieser Schuss traf W. H. an einer ungeschützten Stelle und brachte sie mehrere Sekunden zum Schweigen, denn auf diese Frage war sie nicht vorbereitet und konnte nicht gleich auf die richtige Antwort verfallen. Dann aber fasste sie sich wieder und sagte:
»Na ja – na ja, es war so. Na ja, sie – natürlich hätte sie Richtiges und Vernünftiges auf dem Herzen haben können, aber ich wusste, wenn das der Fall gewesen wäre, hätte sie geschrieben und wäre nicht die ganze weite Strecke aus Wien gekommen, um –«
»Wusstest du, dass sie aus Wien kam?«
Dem Schweigen entnahm ich, dass eine weitere unbefestigte Stelle getroffen worden war. Dann:
»Na ja, ich – das heißt – na ja, sie hatte das Aussehen von jemandem, der – der –«
»Der was?«
»Sie – na ja, jedenfalls hatte sie dieses Gesicht aufgesetzt; denn –«
»Woher wusstest du, dass mein Mann nicht gestört werden wollte?«
»Woher ich das wusste? Oh, das wusste ich nur zu genau; er hatte so viel zu tun, dass der Schweiß durch die Dielenritzen sickerte, und ich hab zur Köchin gesagt, hab zu ihr gesagt –«
»Er hat den ganzen Tag keinen Handschlag getan, sondern auf dem Balkon gesessen, geraucht und gelesen. [In vertraulichem Ton, mit einem Anflug von Scham: »In seinen eigenen Büchern gelesen – das tut er immer.«] Du hättest es ihm sagen müssen; er hätte sich sehr gefreut, Madame Blank zu sehen, und als er herausfand, was geschehen war, war er sehr enttäuscht. Das hat er selbst gesagt.«
»Aber ja, liebe gnädige Frau,
sagen
tut er das, das schon, aber gönnen SieIhrem Herzen Ruhe, ständig sagt er Dinge, die – erst vorgestern hab ich zur Frau des Fleischhauers gesagt –«
»
Ruhig!
Und lass mich ausreden. Du redest zweimal so viel, wie du mir zugestehst, und das kann ich nicht zulassen. Wenn –«
»Das ist wienerisch, gnädige Frau. 27 Gewohnheit, verstehen Sie, nichts weiter. Wir sind alle so; das ist wienerisch.«
»Aber ich bin keine Wienerin. Und ich kann mich nicht damit abfinden. Und dass du mich ständig unterbrichst – es ist immer dasselbe: ob ich mit der Köchin etwas plane, einen Dienstmann beauftrage oder mich beim Postboten nach Zugverbindungen erkundige, immer redest du unaufgefordert dazwischen, übernimmst die Regie und –«
»Ah, Jesses! Es ist genau so, wie ich es mit diesem einen wahren Wort sage! Es ist wienerisch – einfach wienerisch. Gewohnheit, verstehen Sie – alles nur Gewohnheit. Sorel Blgwrxczlzbzockowicz – so heißt Prinzessin Tzwzfzhopowics Zofe –, die sagt, dass sie das auch immer tut, und der Prinzessin gefällt’s, und –«
»Aber ich bin keine Prinzessin, und ich will die Dinge so, wie
ich
sie will; begreifst du etwas so Einfaches nicht? Und noch etwas. Zwischen gestern Morgen, als wir drei nach Wien gefahren sind, und zehn Uhr abends, als wir zurückkamen, scheinst du alle Hände voll zu tun gehabt zu haben. Als der alte Großvater der Köchin zu Besuch kam, wieso musstest du dich da einmischen?«
[Ein Wiener Festzug]
26. Juni, Sonntag; Kaltenleutgeben.
Mit dem Acht-Uhr-Zug fuhr ich nach Wien, um mir den Festzug anzusehen. Es war ein Glücksfall, denn im letzten Moment hatte ich mich träge gefühlt und eigentlich nicht fahren wollen. Aber als ich, fünf Minuten zu spät, zum Bahnhof kam, stand der Zug noch da, auch einige Freunde hatten sich
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