Meine geheime Autobiographie - Textedition
einˆenˆ schönerˆnˆ, schlichterˆnˆ und liebenswerterˆnˆ Charakter. In den Prozessakten tritt dies deutlich und strahlend zutage. Sie war sanftˆ,ˆ und gewinnend und herzlich; sie liebte ihre Heimat, ihre Freunde und das Leben in ihrem Dorf; sie war unglücklich in Gegenwart von Schmerz und Leiden; sie war voller Mitgefühl: Auf dem Schlachtfeld ihres glänzendsten Sieges vergaß sie ihren Triumph, um das Haupt eines sterbenden Gegners in ihren Schoß zu betten und ˆumˆ seine entweichende Seele mit mitleidvollen Worten zu trösten; in einem Zeitalter, wo es üblich war, Gefangene abzuschlachten, stellte sie sich furchtlos vor die ihren und rettete ihnen das Leben; sie war nachsichtig, großzügig, selbstlos, hochherzig, sie war frei von jedem Mal oder Makel der Niederträchtigkeit. Und stets war sie ein
Mädchen,
und lieb und anbetungswürdig, wie es diesem Stand gebührtˆ.ˆ/: Als sie das erste Mal verwundet wurde, war sie erschrocken und weinte, als sie ihr ˆdasˆ Blut aus ihrer Brust schießen sah; aber ˆalsˆ sieˆ,ˆ war Johanna von Orléans ˆJeanne d’Arcˆ, und als sie herausfand, dass ihre Generäle zum Rückzug bliesen, raffte sie sich auf und führte erneut den Angriff an und erstürmte die Festung. An dem runden und schönen Charakter ˆJeannes der Jungfrauˆ gab es weder Fehl noch Tadel. Es gab weder Verblendung noch Eitelkeit. Nur einmal in ihrem Leben vergaß sie, wer sie war, und gebrauchte die Sprache der Prahlerei und der Aufschneiderei. Während der strapaziösen Prozesse saß sie jeden Tag fünf oder sechs trostlose Stunden lang in ihrem Verlies in Ketten und antwortete ihren Richtern; und viele Male waren die Fragen ermüdend albern, und sie verlor das Interesse, und zweifellos träumte sie sich zurück zu den freien Tagen auf dem Kampfplatz und zu den grimmigen Freuden der Schlacht. Eines Tages, in einer solchen Minute, brach ein Peiniger die Monotonie mit einem brandneuen Thema und fragte: »Hast du daheim ein Handwerk erlernt?« Da hob sie den Kopf, und ihre Augen leuchteten auf; und die Erstürmerin der Zitadellen, die Bezwingerin Talbots, des englischen Löwen, die donnerspeiende Befreierin einer verängstigten Nation und eines gejagten Königs, antwortete :» Ja !Nähen und spinnen; und was das anbelangt, fürchte ich mich nicht davor, es mit jeder Frau in Rouen aufzunehmen!« Das war das einzige Mal, dass sie je geprahlt hätte: Wir wollen nachsichtig sein und darüber hinwegsehen.
VII
IHR GESICHT UND IHRE GESTALT
Wie seltsam/! – dass der Künstler sich fast ausnahmslos an ein einziges Detail erinnert – ein nebensächliches und bedeutungsloses Detail der Persönlichkeit Johannas von Orléans ˆJeanne d’Arcsˆ,ˆ/: dass sie ein Bauernmädchen warˆ,ˆ –/ und alles Übrige vergisstˆ!ˆ ; und s ˆSˆo malt er sie als eine dralleˆsˆ Fischˆweibˆ erfrau mittleren Alters mit passender Tracht und passendem Gesicht. Er ist Sklave seiner einen ˆbeherrschendenˆ Idee und ˆspart ausˆ versäumt es, zu bemerken, dass die wahrhaft große n Seelen nie in einem großen ˆgrobenˆ Körper hausen. Keine Sehne ˆFaserˆ, kein Muskel könnte die Arbeit verkraften, die ihr Körper leisten muss , ˆBelastung ihrer physischen Anstrengungen verkraften; ˆ sie tun ˆvollbringenˆ ihre Wunder mit dem ˆdurch denˆ Geist, der fünfzigmal mehr Kraft und Ausdauer besitzt als Sehnen und Muskeln. Die Napoleons sind klein, nicht groß; und sie arbeiten zwanzig von vierundzwanzig Stunden und sind doch erfrischt, wohingegen ˆdieˆ großeˆnˆ Soldaten mit kleinen Herzen um sie her vor Ermattung ohnmächtig werden. Wir wissen, wie Johanna von Orléans ˆJeanne d’Arcˆ aussah,ohne nach fragen ˆforschenˆ zu müssenˆ,ˆ –/ allein anhand dessen, was sie tat. Der Künstler sollte ihren
Geist
malen – dann würde es ihm auch gelingen, ihren Körper richtig zu malen. Dann ˆAuf diese Weiseˆ würde sie vor uns erstehen, eine Erscheinung, die uns gewinnt, nicht abstößt: eine biegsame, ˆschlankeˆ junge schlanke Gestalt, durchdrungen von »der ungekauften Anmut der Jugend«, lieb und hübsch und ganz und gar reizend, das Gesicht schön und verklärt vom Licht dieses leuchtenden ˆihres glänzendenˆ Intellekts und dem Feuer dieses ˆihresˆ unstillbaren Geistes. ˆ»Es war ein Wunder«, schrieb Guy de Laval in einem Brief aus Selles, »sie zu sehen und zu hören.«ˆ
2. Wenn man, wie ich oben vorgeschlagen habe, sämtliche Umstände in Betracht ziehtˆ,ˆ –/ ihre Herkunft, ihre Jugend,
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