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Meine geheime Autobiographie - Textedition

Meine geheime Autobiographie - Textedition

Titel: Meine geheime Autobiographie - Textedition Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: M Twain
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der Predigt widersprach der Fröhlichkeit seines Schopfes, und die Leute mussten sich die ganze Predigt über Taschentücher in den Mund stopfen, um ihre Heiterkeit, so gut es ging, zu unterdrücken. Und Twichell erzählte mir, er habe noch nie erlebt, dass seine Gemeinde – die ganze Gemeinde – die
gesamte
Gemeinde – von Anfang bis Ende so in seine Predigt vertieft war. Immer hatte es hier und da Momente von Gleichgültigkeit oder Gedankenverlorenheit gegeben; aber diesmal gab es nichts dergleichen. Die Leute saßen da, als dächten sie: »Man muss die Feste feiern, wie sie fallen; wir müssen diese Vorführung bis zum Letzten auskosten und dürfen nichts davon verpassen.« Er erzählte, als er von der Kanzel gestiegen sei, hätten mehr Leute denn je darauf gewartet, ihm die Hand zu schütteln und ihm zu sagen, was für eine ausgezeichnete Predigt das gewesen sei. Schade nur, dass sie ausgerechnet an einem solchen Ort – mitten in der Kirche – zu diesen Lügen griffen, denn offensichtlich interessierte sie die Predigt herzlich wenig; sie wollten lediglich seinen Schopf aus der Nähe betrachten.
    Nun, Twichell sagte – nein, nicht Twichell sagte,
ich
sage, dass, als die Tage verstrichen und Sonntag auf Sonntag folgte, das Interesse an seinem Haar wuchs und wuchs; denn es blieb nicht einfach eintönig grün, es nahm immertiefere Grünschattierungen an; und dann veränderte es sich und wurde rötlich, und hierauf verwandelte es sich in eine andere Farbe – in Richtung Violett, Gelb, Blau und so weiter –, aber nie war es eine konkrete Farbe. Immer changierte sie. Und jeden Sonntag war es noch ein wenig interessanter als am Sonntag zuvor – und Twichells Schopf wurde berühmt, und die Leute kamen aus New York und Boston, aus South Carolina und Japan und so weiter, um ihn in Augenschein zu nehmen. Es gab nicht genügend Sitzplätze für alle, die herbeiströmten, solange sein Schopf diese faszinierenden Farbveränderungen durchmachte. Und in mancherlei Hinsicht war es eine gute Sache, denn sein Geschäft hatte ein wenig stagniert, und jetzt traten, um der Vorführung beizuwohnen, eine Menge Leute in seine Kirche ein, und es war der Beginn einer Blütezeit für diese Kirche, die in all den Jahren nicht nachgelassen hat. Nie wieder ist Joe ein größeres Glück widerfahren.
     
    Nun, er erzählte mir – ach nein, das war vor Jahren, als er mir von dem Marketender erzählte. In Sickles’ Brigade war ein Marketender, ein Yankee; ein wunderbarer Mensch, was seine Findigkeit betrifft. Jedem anderen Marketender ging am Vorabend der Schlacht, während der Schlacht, nach der Schlacht die Ware aus; nicht aber diesem Marketender. Ihm ging die Ware nie aus, und so wurde er hochgeachtet und bewundert.
    Es gab Zeiten, da er sich betrank. Ein periodisches Trinken. Man wusste nie, wann er diese Erfahrung wieder durchmachen würde, darum wusste man nicht, wie man sich darauf einstellen sollte. Es war notwendig, sich darauf einzustellen, denn wenn er betrunken war, hatte er keine Achtung vor den Gefühlen oder Wünschen anderer. Wenn er das und das tun wollte, tat er es; nichts konnte ihn dazu bringen, etwas anderes zu tun. Wenn er etwas nicht tun wollte, konnte niemand ihn dazu überreden, es doch zu tun. Bei einer dieser Marketenderfinsternisse hatte General Sickles einige andere Generäle eingeladen, mit ihm in seinem Hauptquartierzelt zu speisen; sein Koch oder seine Ordonnanz oder irgendjemand – die richtige Person jedenfalls – kam fassungslos zu ihm und sagte: »Der Marketender ist betrunken. Wir können nicht zu Abend essen. Es ist nichts zu kochen da, und der Marketender will uns nichts verkaufen.«
    »Haben Sie ihm gesagt, dass es
General Sickles
ist, der die Sachen haben will?«
    »Jawohl, Sir. Das war dem Marketender herzlich egal.«
    »Nun, können Sie ihn nicht bewegen –«
    »Nein, Sir, wir können ihn zu gar nichts bewegen. Wir haben ein paar Bohnen, das ist alles. Wir haben versucht, ihn dazu zu bewegen, uns ein Pfund Schweinefleisch für den General zu verkaufen, aber er weigert sich.«
    General Sickles sagte: »Lassen Sie den Kaplan kommen. Kaplan Twichell soll zu ihm gehen. Der Marketender mag ihn; der Marketender hat große Achtung und Ehrfurcht vor Kaplan Twichell. Der soll hingehen und zusehen, ob er den Marketender nicht überreden kann, ihm ein Pfund gepökeltes Schweinefleisch für General Sickles zu verkaufen.«
    Twichell nahm sich des Auftrags an – trug seinen Auftrag vor.
    Der Marketender

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