Meine geheime Autobiographie - Textedition
wohlgeformtem Englisch – ich könnte auch sagen, in makellos geformtem Englisch. Seine Rede ist hochinteressant und strotzt von Argumenten, da aber nirgendwo Schwerpunkte gesetzt werden und es an Lebendigkeit fehlt, wirkt sie in ihrer Monotonie bald erdrückend und schläfert den Zuhörer ein. Twichell musste mir ein-, zweimal auf den Fuß treten. Der inzwischen verstorbene Bill Nye sagte einmal: »Ich habe sagen hören, Wagners Musik sei besser, als sie klingt.« Diese treffende Beschreibung eines Phänomens, das so viele vergebens zu beschreiben versucht haben, scheint auf die Redeweise des Generals genau zu passen.Seine Rede ist viel besser, als sie ist. Nein, so lautet der Gedanke ja nicht – irgendwo scheint eine Lücke zu klaffen. Vielleicht ist es noch so ein Fall der eben angeführten Art. Nye würde vielleicht sagen, dass »sie besser ist, als sie klingt«. Ich glaube, das ist es. Seine Rede
klingt
nicht unterhaltsam, aber sie
ist
eindeutig unterhaltsam.
In der Schlacht von Gettysburg verlor Sickles ein Bein, und ich erinnere mich noch an Twichells Schilderung der Umstände. Auf einem unserer ausgedehnten Spaziergänge vor vielen langen Jahren sprach er davon, und obwohl die Einzelheiten mir entfallen sind, trage ich das Bild, das Twichell gemalt hat, im Geiste noch immer bei mir. Das Bein wurde von einer Kanonenkugel zerschmettert. Twichell und andere trugen den General vom Schlachtfeld und legten ihn unter einem Baum auf ein Bett aus Zweigen. Es war kein Feldscher zugegen, und Twichell und Rev. Father O’Hagan, ein katholischer Priester, fertigten ein behelfsmäßiges Tourniquet und stillten den Blutfluss –
hemmten,
ist vielleicht ein angemesseneres Wort. Als Erstes kreuzte ein Zeitungskorrespondent auf. General Sickles hatte mit seinem Leben abgeschlossen und (falls Twichell ein so ehrlicher Mann ist, wie es die Art seiner Amtstracht von ihm verlangt) stellte alles, was mit einer zukünftigen Welt zu tun hat, hintan, um in geziemender Weise aus dieser zu scheiden. Und so diktierte er dem Zeitungskorrespondenten seine »letzten Worte«. Es war Twichells Überzeugung – daran erinnere ich mich gut –, dass der General – zweifellos davon beeinflusst, dass die letzten Worte etlicher Leute, ob durch Zufall oder durch Absicht, so schlecht gewählt waren, dass sie den eigentlichen Ruhm des Betreffenden überdauerten – sich bewogen fühlte, seine letzten Worte in eine Form zu bringen, die darauf abzielte, sie in Stein gemeißelt für künftige Generationen zu bewahren. Twichell zitierte die Rede. Ich habe vergessen, woraus sie bestand, aber für ihre Zwecke war sie gut gewählt.
Als wir jetzt dasaßen und der monotonen Rede des Generals lauschten – sie handelte von ihm und immer nur von ihm und wirkt allenthalben bescheiden, versöhnlich und harmlos –, kam es mir so vor, als sei er genau die Sorte Mann, die ihr Seelenheil aufs Spiel setzt, um auf ansprechende Weise irgendwelche »letzten Worte« zu äußern. Er murmelte und zwitscherte und trällerte, und alles war so einfach und hübsch, wie es nur sein konnte. Undich möchte noch etwas sagen: Nie hat er über irgendjemanden eine kleinliche Bemerkung gemacht. Er sprach streng von dieser und jener Person – Offizieren im Krieg –, aber er sprach würdevoll und höflich. Dem, was er sagte, haftete nichts Boshaftes an. Er sprach lediglich aus, was er ganz offensichtlich für gerechtfertigte Kritik hielt.
Da fiel mir auf, was mir schon einmal, vor vier oder fünf Monaten, aufgefallen war: dass der General sein verlorenes Bein viel höher schätzt als jenes, das ihm geblieben ist. Ich bin mir vollkommen sicher, dass er, wenn er sich von einem der beiden trennen müsste, sich von dem trennen würde, das ihm geblieben ist. Dasselbe ist mir schon an anderen Generälen aufgefallen, die im Bürgerkrieg einen Teil ihrer selbst verloren haben. Da war General Fairchild aus Wisconsin. In einer der großen Schlachten verlor er einen Arm. Ich weiß noch, wie General Fairchild, als er Generalkonsul in Paris war und wir Clemens uns einmal dort aufhielten und mit ihm und seiner Familie gut bekannt wurden, jede sich bietende Gelegenheit ergriff, den Stumpf seines amputierten Armes zu heben und wirkungsvoll damit herumzuwedeln. Es kostete nichts, ihm zu verzeihen, und ich verzieh ihm.
Damals war General Noyes unser Gesandter in Frankreich. Er hatte im Krieg ein Bein verloren. Er war ein ziemlich eitler Mann, das muss ich sagen, und jeder konnte sehen, was ich
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