Meine geheime Autobiographie - Textedition
des Menschen ersonnen und errichtet hat. In den wesentlichen Dingen, Herzensgüte und untadelige Lebensführung, waren die Kaiserin und John einander ebenbürtig. Beide fuhren geachtet, geschätzt, geehrt in ihren Särgen an den Zuschauern vorbei; beide legten dieselbe Strecke von der Kirche zurück, waren zu derselben Ruhestätte unterwegs – dem Fegefeuer, entsprechend der katholischen Lehre –, um von dort in ein besseres Land gebracht zu werden oder aber im Fegefeuer zu bleiben, je nachdem, was die Beiträge ihrer Freunde, bares Geld oder Gebet, ergaben. In einer bewunderungswürdig formulierten Grabrede erzählte uns der Priester von Johns Bestimmungsort und von den Bedingungen, unter denen er seine Reise fortsetzen könne oder aber im Fegefeuer bleiben müsse. John war arm; seine Freunde sind arm. Die Kaiserin war reich; ihre Freunde sind reich. John Malones Aussichten stehen nicht gut, und das beklage ich.
Vielleicht irre ich mich, wenn ich sage, ich hätte nur zwei katholischen Begräbnissen beigewohnt. Ich glaube, einmal, vor etwa vierzig Jahren, habe ich einem in Virginia City, Nevada, beigewohnt – vielleicht war es auch in Esmeralda an der kalifornischen Grenze –, doch falls es sich so verhält, ist die Erinnerung daran kaum mehr vorhanden, so undeutlich fällt sie aus. Ein oder zwei Beerdigungen dort draußen – vielleicht einem Dutzend –
habe
ich beigewohnt; Beerdigungen von Desperados, die versucht hatten, die Gesellschaft dadurch zu läutern, dass sie andere Desperados beseitigen – und dieseLäuterung
tatsächlich
bewerkstelligten, wenn auch nicht aufgrund des Programms, das sie zu diesem Zweck ersonnen hatten.
Außerdem bin ich zu einigen Beerdigungen von Leuten gegangen, die in Duellen gefallen waren – und vielleicht war es ein Duellant, den ich tragen half. Aber würde ein Duellant von der Kirche beigesetzt werden? Verübt er nicht dem Wesen nach Selbstmord, indem er den eigenen Tod heraufbeschwört? Würde ihn das nicht ausschließen? Nun, ich weiß nicht mehr genau, wie es sich verhielt, aber ich glaube, es war ein Duellant.
Freitag, 19. Januar 1906
Über das Duellieren
In der Frühzeit des neuen Territoriums Nevada wurde das Duellieren plötzlich Mode, und 1864 war jedermann auf eine Chance in diesem neuen Sport erpicht, vor allem weil er sich selbst nicht voll und ganz respektieren konnte, solange er nicht jemanden in einem Duell getötet oder zum Krüppel gemacht hatte oder in einem solchen nicht selbst getötet oder zum Krüppel gemacht worden war.
Damals hatte ich seit zwei Jahren als Lokalredakteur bei Mr. Goodmans
Virginia City Enterprise
gedient. Ich war neunundzwanzig Jahre alt. Ich war in mehrfacher Hinsicht ehrgeizig, hatte mich den Versuchungen dieses besonderen Wahns jedoch entziehen können. Ich verspürte nicht den geringsten Drang, mich in einem Duell zu schlagen; ich hatte nicht die Absicht, eins zu provozieren. Zwar fühlte ich mich nicht respektabel, zog aber eine gewisse Genugtuung daraus, dass ich mich sicher fühlte. Ich schämte mich meiner; die übrige Belegschaft schämte sich meiner – aber ich kam einigermaßen klar. Aus dem einen oder anderen Grund war ich es gewohnt, mich meiner zu schämen, insofern war die Situation für mich nichts Neues. Ich ertrug sie sehr gut. Zur Belegschaft gehörte Plunkett; zur Belegschaft gehörte R. M. Daggett. Sie hatten versucht, in ein Duell hineinzugeraten, waren vorerst jedoch gescheitert und mussten warten. Goodman war der Einzige unter uns, der etwas getan hatte, um der Zeitung Ehre zu machen.Das Konkurrenzblatt war die
Virginia Union
. Eine Zeitlang war ihr Herausgeber Tom Fitch, genannt »der silberzüngige Redner von Wisconsin« – von dort stammte er. Er schlug die Saiten seiner Redekunst in den Leitartikeln der
Union
an, und Mr. Goodman forderte ihn heraus und stimmte ihn mit einer Kugel milde. Ich weiß noch, wie die Redaktion frohlockte, als Fitch Goodmans Forderung annahm. An dem Abend waren wir spät dran und machten viel Wind um Joe Goodman. Er war erst vierundzwanzig Jahre alt; ihm fehlte die Klugheit, die ein Mensch mit neunundzwanzig hat, und er war ebenso froh,
es
zu sein, wie ich froh war, es nicht zu sein. Zu seinem Sekundanten bestimmte er Major Graves (der Name stimmt nicht ganz, ist aber annähernd richtig, ich weiß ihn nicht mehr). Graves kam vorbei, um Joe in der Kunst des Duells zu unterweisen. Er war Major unter Walker, dem »grauäugigen Mann des Schicksals«, gewesen und hatte den ganzen
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