Meine geheime Autobiographie - Textedition
sah, dass Noyes immer, wenn sich alles versammelte, augenblicklich zu verschwinden schien. Es blieb von ihm nichts übrig außer dem Bein, das er nicht hatte.
General Sickles saß also auf dem Sofa und redete. Es war ein sonderbares Haus. Zwei Zimmer von beträchtlicher Größe – Salons, die durch eine Falttür miteinander verbunden waren –, und Böden, Wände, Decken waren mit Löwenfellen, Tigerfellen, Leopardenfellen, Elefantenhäuten übersät und verhängt; Fotografien des Generals zu verschiedenen Zeiten seines Lebens – Fotos
en civil;
Fotos in Uniform; gekreuzte Degen, als Trophäen an der Wand befestigt; hier und da aufgesteckte Fahnen verschiedener Art; noch mehr Tiere; noch mehr Felle; hier und dort und allerorten noch mehr Felle; immer die Felle wilder Geschöpfe, glaube ich – wunderschöne Felle. Man konnte nirgendwo über den Fußboden gehen, ohne über die harten Schädel von Löwen und anderem Getier zu stolpern. Man konnte nirgendwo die Handausstrecken, ohne sie auf ein exquisites samtenes Tigerfell oder Leopardenfell zu legen, und so weiter – o ja, Felle jeder Art gab es dort; es war, als habe sich eine ganze Menagerie in dem Haus entkleidet. Dann hing da ein markanter, eher unangenehmer Geruch in der Luft, der von den Desinfektions- und Konservierungsmitteln stammte, die man zur Mottenbekämpfung auf die Felle sprühen muss – was es zu keinem sehr angenehmen Aufenthaltsort machte. Es war eine Art Museum; und doch war es nicht die Sorte Museum, die würdig genug schien, das Museum eines bedeutenden Soldaten – und eines so berühmten Soldaten – zu sein. Es war die Sorte Museum, die kleine Jungen und Mädchen entzückt und unterhält. Vermutlich offenbart dieses Museum einen Teil seines Charakters und seiner Machart. Der General ist herzig und einnehmend kindlich.
Einmal in Hartford vor zwanzig oder fünfundzwanzig Jahren, als Twichell an einem Sonntagmorgen eben aus seinem Tor trat, um zur Kirche zu gehen und zu predigen, wurde ihm ein Telegramm in die Hand gedrückt. Er las es auf der Stelle und brach mehr oder weniger zusammen. Darin hieß es: »General Sickles gestern um Mitternacht gestorben.«
Nun, Sie wissen schon, dass dem nicht so war. Gleichviel – für Joe war es damals so. Er ging weiter – ging zur Kirche –, aber in Gedanken war er weit weg. Seine ganze Zuneigung zu seinem General machte sich bemerkbar, seine Bewunderung und Wertschätzung. Sein Herz war voll der Empfindungen. Er wusste kaum, wo er sich befand. Er bestieg die Kanzel und begann den Gottesdienst, aber mit einer Stimme, über die er fast keine Gewalt mehr hatte. Die Gemeindemitglieder hatten ihn auf der Kanzel noch nie so gerührt gesehen. Sie saßen da, schauten zu ihm empor und fragten sich, was ihm fehlte; denn jetzt las er mit dieser gebrochenen Stimme und unter Tränen, die ihm hin und wieder übers Gesicht liefen, aus einem Kapitel, das ihnen recht nüchtern vorkam – Moses zeugte Aaron, und Aaron zeugte das Deuteronomium, und das Deuteronomium zeugte St. Petrus, und St. Petrus zeugte Kain, und Kain zeugte Abel –, und halb weinend las er immer weiter, und immer wieder brach seine Stimme. An jenem Morgen verließ die Gemeinde die Kirche, ohne sich den für sie außergewöhnlichen Vorfall erklären zu können. Dass ein Mann, der über vier Jahre lang Soldat gewesen war undvon dieser Kanzel herab so viele, viele Male über wirklich bewegende Themen gepredigt hatte, ohne dass seine Lippen auch nur gezittert hätten, dass ein solcher Mann bei all den Zeugungen zusammenbrach, konnten sie nicht verstehen. Aber da haben wir’s – jeder sieht, dass ein solches Rätsel die Neugier der Leute auf den Siedepunkt treiben muss.
Twichell hat viele Abenteuer bestanden. Er hat in einem Jahr mehr Abenteuer bestanden als jeder andere in fünf. Eines Samstagabends bemerkte er auf der Frisierkommode seiner Frau eine Flasche. Er glaubte, dass auf dem Etikett »Haarwuchsmittel« stand, nahm es in sein Zimmer, rieb seinen Kopf gründlich damit ein, brachte es zurück und dachte nicht mehr daran. Als er am nächsten Morgen aufstand, war sein Schopf leuchtend grün! Er ließ nichts unversucht, konnte aber keinen Ersatzprediger auftreiben, so dass er selbst zu seiner Kirche gehen und predigen musste – was er auch tat. Der Zufall wollte es, dass er keine unbeschwerte Predigt in petto hatte, und so musste er eine sehr feierliche – sehr ernste – Predigt halten, und das machte die Sache nur noch schlimmer. Der Ernst
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