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Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
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sie eine Kiste mit Büchern auspackte, die heute geliefert worden war. Eigentlich trägt auch sie eine Art Uniform, genau wie ich, und zwar ihre bestickten mexikanischen Bauernblusen, wallende Fransenröcke und natürlich - Clogs. Ihre Haare hat sie meistens wie ein kleines Mädchen zu zwei hohen Zöpfen zusammengebunden. Eines müsst ihr wissen über meine Mutter: Egal was man ihr sagt, sie tut garantiert das Gegenteil. Sagst du hoch, sagt sie tief. Sie ist eben eine waschechte New Yorker Künstlernatur, wie Grandma meint, und damit ist für sie auch alles gesagt. Mama ist die Einzige von uns, die keinen Spitznamen hat. Die Alteingesessenen hier im Ort nennen sie »Hell-in« statt Helene, wie sie wirklich heißt - eine dieser typischen Äußerungen, die ein bisschen lustig, aber auch ein bisschen unverschämt sind.
    »Miss Holliday?«, fragte Mama Lorelei.
    »Ist das der Nachname von Miss Veraleen? Holliday?«, fragte Lorelei. »Ach, wie schön. Da muss ich gleich an Kanäle und ein romantisches Abenteuer denken wie in Roman Holiday .« Lorelei hat den verklärten Blick aufgesetzt, der so typisch für sie ist. Ich habe sie nicht darüber aufgeklärt, dass sie Kathrine Hepburn mit Audrey Hepburn verwechselt und es in Rom auch keine Kanäle gibt. »Sie ist mir vorhin über den Weg gelaufen, ich meine, sie ist ja auch wirklich nicht zu übersehen …« Sie hielt plötzlich inne, als wolle sie sich selbst davor bewahren, etwas Beleidigendes zu sagen.
    »Sie sucht einen Job und hat schon fast jedes Geschäft auf der Main Street abgeklappert«, fuhr Lorelei fort. »Sogar im Sweet Homer Diner ist sie gewesen und hat sich erkundigt, ob sie eine Köchin brauchen.«
    In der Zeitschrift Country Life entdeckte ich ein Foto mit grasenden Kühen, die sogleich Gesellschaft von ein paar Drachen bekamen.

    Lorelei ging hinter die Theke, nahm ein Buch zur Hand und begann es hin- und herzudrehen. »Nein, ich meine den neuen Stadtschreiber. Den hab ich gesehen. Er hat Kaffee getrunken und dabei seine Gedichte geschrieben, und ihr ahnt ja nicht, wie er aussieht!«
    Mama schwieg für einen Augenblick, während wir Blicke tauschten. Manchmal müssen wir uns nur angucken, um zu wissen, was die andere gerade denkt. Mama lächelte.
    »Wie James Dean!« Lorelei verdrehte die Augen, als hätten wir das nach ihren vielen Hinweisen längst erraten müssen. »So wie er in Giganten aussah, mit Jeans, weißem T-Shirt, glatten, zurückgestrichenen Haaren und dieser grüblerischen Intensität.«
    » Denn sie wissen nicht, was sie tun «, murmelte ich. »Blödsinn. Irrtümlich.« James Dean spielte in Giganten einen Cowboy und Lorelei würde sich nie im Leben für einen Cowboy interessieren. Davon haben wir hier mehr als genug: Cowboys, Rinder und ein, zwei paffende Dichter.
    »Ach, wirklich?«, sagte Mama lächelnd. »Na, dann hoffen wir mal, dass er auch als Dichter ein Volltreffer ist. Wir hatten hier keine richtige Lesung mehr, seit Lovie und Lulie Urgroßmutter Bupps südtexanisches Spezialitätenkochbuch vorgestellt haben.«
    Lorelei fuhr fort, während sie mich irritiert ansah: »Und das Beste habe ich ja noch gar nicht erzählt. Er saß mitten im Restaurant und trug eine Sonnenbrille. Ist das nicht großartig?«
    »Scheint sich ja um einen waschechten Literaten zu handeln und nicht um einen Graffitikünstler, so wie letztes Mal«, sagte Mama. Der letzte Dichter war vom Sheriff aus der Stadt gejagt worden, nachdem er in zinnoberroten tropfenden Buchstaben »Life is Nothing« an die Fassade des Sweet Home Diner gemalt hatte.

    Mama öffnete einen weiteren Karton, stellte ihn zur Seite und nickte mir zu. Ich wusste, was es war, meine monatliche Klassiker-Lektüre. Ich ging zu dem Karton und nahm ein in Leder gebundenes Buch heraus: The Faerie Queene von Edmund Spenser. Ich hielt es mir vor die Nase und atmete den Geruch des Leders ein.
     
    Es war Mama, die mich aus der Welt der Stille zurückgeholt hat. Nachdem ich ein Jahr lang ununterbrochen geschrien hatte, hörte ich plötzlich auf. Kein Schreien, kein Wimmern mehr, kein Ma-ma oder Da-da. Nichts. Ich war still wie ein Grab, sagt Grandma. Monate vergingen und zunächst genoss jeder den himmlischen Frieden. Doch schließlich begann Mama, sich große Sorgen zu machen.
    »Sei froh, dass das ewige Geplärre vorbei ist«, sagte Grandma. »Du solltest Gott auf Knien dafür danken, wie du es auch da drüben in der Mezcan Church machst.« Grandma findet es gar nicht gut, dass Mama Katholikin ist und

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