Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde
besser, dachte ich. Wir saßen in der Klemme, und es gab nichts, was ich dagegen unternehmen konnte.
Die feinen Strahlen schienen ein wenig zu flackern, als wollten sie mit mir Kontakt aufnehmen. »Komm und ich zeig dir den Weg«, sagten sie zu mir. »Komm, komm …«
»Wollen wir jetzt nach Hause gehen, Biswick?« Er nickte stumm. Wir krochen aus der Höhle in den Schnee hinaus, rappelten uns auf und hielten uns aneinander fest.
Drei runde Lichter, so groß wie Basketbälle, schwebten vor uns durch die Luft. Sie schienen sich um eine unsichtbare Achse zu drehen und ihren orangefarbenen Strahl in die Dunkelheit zu schicken. Biswick griff nach meiner Hand. »Merilee?«, flüsterte er.
»Pst!« Ich hielt mir den Zeigefinger vor die Lippen.
Die Lichtbälle führten jetzt einen zauberhaften Tanz auf, flogen strahlend und anmutig durch die Luft und verströmten dabei Kraft und Wärme. Sie umkreisten uns förmlich, bis einer von ihnen vor mir stehen blieb. Ich blickte direkt in ihn hinein.
Was war das? Ich blinzelte. Ich glaubte, die feinen glutroten Äderchen eines kristallblauen Auges zu sehen, dessen Pupille nur ein schwarzer Schlitz war, wie bei einem Reptil. Das Auge zwinkerte mir zu. Bist du das? Ich schloss meine Augen, und als ich sie wieder öffnete, sah ich, dass es mein eigenes vergrößertes Auge war, das mich in meinem Fernglas anstarrte. Ich wärmte mich an Biswicks eiskalter Hand. Auch vor seinem Gesicht schwebte eine Lichtkugel. Dann vereinigten sich die drei Lichter und setzten sich gemeinsam in Bewegung.
Sie leuchteten den Berg hinunter und wir folgten ihrem sicheren, warmen Strahl. Es war nicht leicht zu erkennen, doch die Lichter zeigten uns den Weg.
Dann hörte ich ein Geräusch. Ein vertrautes Pfeifen. Ich pfiff zurück. Plötzlich erblickte ich drei große, lang gezogene Lichtbögen.
»Merilee?«, rief eine Stimme aus der Dunkelheit.
»Hier sind wir!«, rief ich. Biswick klammerte sich an mich. Die Strahlen kamen näher. Zuerst tauchte Sheriff Bupp auf, dann kamen Daddy, und Onkel Dal. Alle hielten große Taschenlampen in den Händen.
Ich lief in Daddys Arme, während Biswick zu Onkel Dal rannte. Ich drückte Daddy, so fest ich konnte, und er drückte noch fester zurück.
»So kommt dein Spitzname doch noch zu seinem Recht«, flüsterte er mir ins Ohr.
Sie trugen Biswick und mich den Berg hinunter, und Onkel Dal sang dabei ein altes Lied, das tief in mir verborgen gewesen war. Doch jetzt erkannte ich es. Es war das Lied, das er damals, vor vielen, vielen Jahren, so oft für mich gepfiffen hatte. Das Lied der Berge, das Grandma ihren Babys vorgesungen hatte.
Abschiede
M ama hat es mir so erklärt: Wenn Menschen, sei es auch nur für kurze Zeit, in unser Leben treten, dann ist das kein Zufall. Das ist so wie bei den Vögeln. Manche leben hier das ganze Jahr lang, während andere auf der Durchreise sind und bei uns nur einen Zwischenstopp einlegen. Dann möchte ich allerdings wissen, warum ausgerechnet Grandma, die wir inzwischen im »Happy Hearts«-Pflegeheim an der Oak Avenue einquartieren mussten, zu denjenigen gehört, die hier ständig leben.
Seit unserem Ausflug in die Berge sind mehrere Monate vergangen. Eines steht für mich fest: Meine Drachen haben mich gerettet. Und wer weiß, vielleicht waren sie ja von Gott gesandt worden. Veraleen sagt, wir haben in den Bergen gesehen, was wir sehen wollten, denn die Irrlichter seien die Spiegel unserer Seele. Biswick besteht darauf, dass er Superman, den Weihnachtsmann und einen Cheeseburger gesehen hat. Daddy meint, das seien nur die Taschenlampen gewesen. Mama glaubt an ein Wunder. Und Grandma findet, das sei doch alles geballter Schwachsinn.
Veraleen kam in die Stadt zurück, um Biswick abzuholen. Heute werden sie uns verlassen. Veraleen hat sich entschlossen, dem Reservat, aus dem Biswick stammt, einen Besuch abzustatten. Vielleicht warten dort ja tatsächlich eine Mommy June oder ein komischer alter Großvater oder ein Vater mit einem großen Zeh auf ihn. Wer weiß. Ich war nicht in der
Lage, mich endgültig von ihnen zu verabschieden. Stattdessen bin ich zu den Bahngleisen gegangen, um Müll aufzuspießen. Mein SGD beruhigt mich immer noch und das wird sich wohl niemals ändern.
Doch ahnte ich bereits, dass Veraleen mich hier finden würde. Ich spürte das Rumpeln ihres alten GTO in meinen Füßen, bevor ich sah, wie der Wagen die Straße hinunterkam. Sie bremste so abrupt, dass der Staub aufwirbelte und mich wie eine magische
Weitere Kostenlose Bücher