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Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde

Titel: Meine geordnete Welt oder Der Tag an dem alles auf den Kopf gestellt wurde Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Suzanne Crowley Knut Krueger
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Damals hätte ich Biswick wahrscheinlich unverblümt gefragt, was mit ihm nicht in Ordnung sei. Vor mehreren Jahren meinte Mama, ich müsste mein Problem mit der unhöflichen Fragerei irgendwie in den Griff kriegen, also kaufte sie mir in einem Laden für Lernmittel einen Satz illustrierter Karten, auf denen menschliche Gesichter zu sehen waren, die ich studieren und entschlüsseln sollte. Doch noch heute muss ich mich sehr konzentrieren, um die tiefere Bedeutung zu erkennen, die sich hinter einem Stirnrunzeln oder
einem Lächeln verbirgt. Ich gab Biswick keine Antwort. Ich starrte nur weiter sein Gesicht an.
    »Dieses Fahrrad. Es sieht lustig aus. Kann man zu zweit darauf fahren?«, fragte er und zeigte auf meinen liebsten Besitz.
    Ich habe nie gelernt, auf einem normalen Fahrrad zu fahren, so wie ich auch nie gelernt habe, mir die Schuhe zu schnüren. Ich bestehe quasi nur aus Armen und Beinen, und seit ich dreizehn geworden bin, sind sie noch länger geworden - als wäre ich ein Kaubonbon, den man in vier verschiedene Richtungen auseinandergezogen hat.
    Daddy hat mir dieses Spezialfahrrad letztes Jahr gekauft, damit ich selbstständig durch Jumbo fahren kann. Zugegeben, es sieht nicht besonders cool aus, sondern eher wie die rollenden Gefährte, die alte Damen zum Einkaufen benutzen. Es besitzt hinten zwei Räder und darüber zwei Körbe für meinen Müllbeutel, mein Notizbuch, mein Fernglas (ebenfalls ein kostbares Geschenk von Daddy), einen Vorrat an Tootsie Pops, mit dem ich sehr freigiebig bin, sowie ein Buch aus Mamas Buchhandlung, das ich gerade lese.
    »Ein Spezialfahrrad!«, antwortete ich, stellte einen Fuß aufs Pedal und begann zu treten.
    »Weißt du, dass Frösche kotzen können?«, sagte er hinter meinem Rücken.
    Ich bremste. Ich gebe zu, dass ich fast lächeln musste. Fast. Ich nahm mein schwarzes Notizbuch zur Hand, schrieb es auf und wollte weiterfahren.
    »Wusstest du, dass Betsy Ross mit einem vollständigen Gebiss geboren wurde?«, fügte er hinzu.
    Ich seufzte entnervt auf. Mein SGD war für heute sowieso zum Teufel.
    »Verwunderlich.« Ich räusperte mich und atmete tief durch. Dann gab ich ihm ein Zeichen, mir zu folgen, und begann, im Schneckentempo in die Pedalen zu treten.

    »Babe Ruth, Abraham Lincoln und noch jemand, ich komm jetzt nicht drauf, sind die einzigen Köpfe von richtigen Menschen auf PEZ-Boxen«, sagte er, so schnell er konnte.
    Zufall, dachte ich. Das Leben ist voller Zufälle. »Nein«, entgegnete ich, während ich weiterfuhr. »Irrtümlich. Nicht wahr. Es sind die Köpfe von Betsy Ross, Daniel Boone und Paul Revere.« Er war schon ein Stück zurückgefallen. Ich versuchte, so langsam zu treten, wie ich nur konnte, damit er mich wieder einholte. Mit meinen langen Beinen sah ich bestimmt wie ein Grashüpfer in einem Insektenzirkus aus.
    »Du kennst dich mit PEZ-Boxen aus?«, fragte er sichtlich beeindruckt.
    »Yep. Außerordentlich.« Ich besitze die beste PEZ-Sammlung in ganz Texas. Ich bin keine Angeberin, aber es stimmt. Die Boxen beanspruchen vier lange Regalbretter in meinem Zimmer. Dort stehen sie in Reih und Glied und halten Wache.
    »Ich auch! Und hier ist mein bestes Stück!«, fügte er hinzu, indem er seine Hand in die Hosentasche schob. Ich hielt an. Er streckte mir eine PEZ-Box mit Gespensterkopf entgegen - vollkommen wertlos, aber ihm schien sie offenbar viel zu bedeuten.
    »Geh weg«, sagte ich. Wir hatten die Kreuzung von Maple und Fifth Street erreicht, und für einen Augenblick wusste ich nicht mehr, welche Richtung ich einschlagen sollte. Ausgerechnet ich, deren gesamtes Jahr genau durchstrukturiert und verplant ist, Minute für Minute. Mein Herz begann zu rasen und meine Handflächen waren schweißnass. Ich hasse es, wenn mein Zeitplan durcheinanderkommt. Schauerlich.
    »Daddy und ich, wir kommen aus Irland«, sagte der Junge. »Du weißt schon, wie die Lucky-Charms-Frühstücksflocken.«
    Ich habe noch nie irgendwelche Iren zu Gesicht bekommen, aber er sah wirklich kein bisschen wie der kleine Junge auf dem Lucky-Charms-Karton aus.

    »Willst du sie haben?«, fragte er. Er hielt mir stolz seine PEZ-Gespensterbox vor die Nase und grinste von einem Ohr zum andern. »Wir könnten Freunde sein.«
    »Nein, keine Freunde«, entgegnete ich.
    Ich sagte das nicht, weil ich gemein zu ihm sein wollte. Es war die Wahrheit. Und ich brauchte auch keine PEZ-Box mit Gespensterkopf. Er machte ein langes Gesicht, also versuchte ich es mit einer anderen

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