Meine kaukasische Schwiegermutter
ausländischen Schwestern nachstehen!«, behauptete der Onkel und ließ seinen Worten sogleich Taten folgen. Jeden Abend brachte er eine neue heimische Cognacsorte mit ans Schachbrett. Der Cognac verlangsamte unser Schachspiel deutlich, es ging kaum noch vorwärts. Doch beim Schach ist sowieso keine Hektik angebracht. In den nächsten Tagen probierten wir sämtliche Cognacerzeugnisse der Region. Wir tranken aserbaidschanischen Cognac, armenischen und georgischen, den Cognac aus Dagestan, den aus der Stadt Kislar und aus Temrjuk. Manche Flaschen hatten pathetische Namen wie der »Jubiläumscognac zum Unabhängigkeitstag der abchasischen Republik«, andere hatten überhaupt keine Namen, nur unverständliche Zahlen auf dem Etikett. Es waren aber überhaupt keine schlechten dabei. Am besten schmeckte mir der Cognac aus der dagestanischen Stadt Kislar.
»Lass uns schnell zu Ende spielen, ich muss noch die Stühle und die Tische vom Hof in die Kantine bringen. Morgen findet dort eine große Trauerfeier statt, 150 Gäste sind angekündigt, wir müssen alle Bänke und Tische dorthin schleppen«, erklärte mir der Onkel.
Sein Nachbar Alexander Ivanowitsch, ein guter Mann und der stellvertretende Direktor des Pferdekombinats, war am Samstag zuvor plötzlich gestorben. Er hatte gerade vor einem halben Jahr einen Herzschlag erfolgreich überstanden und sich seitdem verstärkt um seine Gesundheit bemüht, nichts Fettes gegessen und wenig getrunken. Alle Vorsichtsmaßnahmen hatten jedoch nichts genutzt, er starb kurz vor seinem siebzigsten Geburtstag. Den stellvertretenden Direktor kannte jeder im Dorf als einen großzügigen Menschen, der jedes Pferd auslieh und eine lustige Marotte hatte: in Reimen zu sprechen. Ich habe ihn auch einmal bei einem Geburtstag im Dorf erlebt. Zu feierlichen Anlässen machte er gerne Ansagen und brachte Toasts in Reimen aus. Ob man ihn darum bat oder nicht, zum richtigen oder zum falschen Zeitpunkt, stand der stellvertretende Direktor auf und las seine Kurzgedichte vor:
Ich möchte dieses Glas erheben
auf das Glück, mit euch zu leben.
Lasst uns den Augenblick genießen,
das Leben ist kurz, der Tod gerissen.
»Und dein Reim ist beschissen!«, fügte seine armenische Frau hinzu. Sie, die alle seine Reime seit fünfzig Jahren mit anhören musste und sie nicht leiden konnte, ging immer mit scharfen Bemerkungen dazwischen und beschimpfte ihren Mann. So zankten sich die beiden ununterbrochen, am Ende siegte aber fast immer der Direktor und reimte weiter bis zum Schluss. Es war tatsächlich eine seltsame Marotte, die jedem schnell auf die Nerven ging. Trotzdem lud man den Direktor zu jeder Feierlichkeit im Dorf ein. Ein guter Mensch ist er, der Alexander Ivanowitsch, auch wenn er manchmal in Reimen spricht, so lautete in etwa die generelle Meinung. Nun aber war Alexander Ivanowitsch tot, was irgendwie niemanden im Dorf verwunderte. Es habe ja schon Vorzeichen gegeben, meinte der Onkel.
»Welche Vorzeichen?«, fragte ich ihn.
»Siebzig ist ein gefährliches Männeralter«, erklärte mir Onkel Joe.
Die Männer im Kaukasus sterben nämlich besonders häufig zu ungeraden Lebensjahrzehnten. Mit dreißig kann einem zum Beispiel viel passieren, weil man in diesem Alter gerne streitet, die Gefahr liebt und viel vorhat. Wenn man aber die dreißig überlebt hat, ist erst einmal Ruhe angesagt. Die nächste Hürde kommt erst mit fünfzig, weil man da denkt, man sei noch immer dreißig, und sich infolgedessen auf der ganzen Linie übernimmt. Viele sterben mit fünfzig, weil sie dieses Alter nicht verstehen. Wenn sie aber nicht gestorben sind, können sie sich so lange entspannen, bis sie auf die siebzig zugehen. Und siebzig zu sein ist schwierig, weil man sich mit siebzig an so viel erinnert, dass einem ganz schnell schlecht davon wird.
»Das ist dann aber auch die letzte Hürde«, meinte der Onkel. »Wenn man auch die siebzig gemeistert hat, kann eigentlich nichts mehr passieren.«
An jeden Verstorbenen wird nach hiesiger Sitte drei Mal erinnert: am Tag seines Begräbnisses sowie am neunten und am vierzigsten Tag danach. Bis zum vierzigsten Tag bleibt die Seele des Verstorbenen bei den Lebenden. Am neunten Tag verlässt sie den Körper des Verstorbenen und irrt bis zum vierzigsten Tag in seinem Haus und Hof umher. Die Lebenden müssen an sie denken und sie beruhigen, das heißt, für sie im Haus in einer Ecke ein Glas mit dem Lieblingsgetränk des Verstorbenen und ein paar Brote dazu hinstellen. Beim
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