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Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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ausgehen, wen kennenlernen? Soll man Libellen gute Nacht wünschen, mit Steppenmäusen plaudern? Es gibt in der nordkaukasischen Steppe keine Disko, kein Theater, kein Museum. Dafür haben wir fünf Berge unterschiedlicher Größe und Form, eine Autobahn und eine Eisenbahnbrücke.
    Zwischen der Autobahn und der Eisenbahnbrücke steht das Restaurant »Altes Baku«, das einzige Steppenrestaurant weit und breit. Die meisten Bewohner in unserem Dorf sind der Meinung, »Altes Baku« sei ein armenischer Nostalgie-Laden, eine Erinnerung an die alten Zeiten, als noch viele Armenier in der aserbaidschanischen Hauptstadt lebten. Eine Menge von ihnen wurde Anfang der Neunzigerjahre aus Baku vertrieben, viele haben sich im Nordkaukasus angesiedelt. Auch in der Steppenstraße hat eine armenische Familie ein Haus gebaut, eine nette Familie. Sie macht Lärm für drei. Entweder sind es tatsächlich drei Familien in einem Haus oder eine, die das ganze Jahr über viel Besuch hat. Allerdings sind auch viele Aserbaidschaner, denen es in der Heimat zu eng wurde, in den Nordkaukasus gezogen.
    Niemand im Dorf wusste genau, wem das »Alte Baku« eigentlich gehörte. Tagsüber war das Restaurant geschlossen, abends färbte sich der Himmel über ihm rosa. Selbst aus zwei Kilometern Entfernung hörten wir die Musik von dort und später Feuerwerke knallen. »Im ›Alten Baku‹ ist wieder Hochzeit«, sagte Onkel Joe an solchen Tagen mit leicht zugekniffenen Augen. Er klang etwas neidisch. Sein eigener kleiner Laden, die »Kantine«, ist mehr auf Trauerfeiern spezialisiert, für Hochzeiten fehlt ihm der Glanz. Ein Restaurant in der Steppe, das nicht pleitegeht, wirkt auf mich wie eine Skurrilität, doch es ging dem Laden anscheinend gut. Letztes Jahr eröffneten die Inhaber auf der anderen Seite der Eisenbahnbrücke sogar noch eine Filiale, das sogenannte »Neue Alte Baku«. Auch dort knallte und qualmte es regelmäßig nach 21.00 Uhr.
    Gleich an meinem ersten Tag im Kaukasus lud ich die ganze Verwandtschaft ins alte »Alte Baku« ein – inklusive Oma Anastasia und Baby Sonja. Es war doch ein Unding, neben solch einem schier einzigartigen Steppenrestaurant zu leben und nie dort gewesen zu sein. Ich lud sie am ersten und am zweiten Tag ein, jeden Tag, Woche für Woche, Jahr um Jahr – jedes Mal, wenn wir dort waren. Aber jedes Mal vergeblich. Sie schlugen meine Einladungen aus, wollten nichts von einem Restaurantbesuch wissen. Das heißt, die beiden Töchter von Onkel Joe und seine Frau fanden die Idee, ins »Alte Baku« auszugehen, eigentlich gar nicht so abwegig. Meine Schwiegermutter und ihre Schwester stimmten ebenfalls zu. Aber das Familienoberhaupt, Onkel Joe, hielt streng dagegen.
    »Warum sollen wir dort hingehen?«, fragte er immer wieder und machte ein grimmiges Gesicht. »Haben wir etwa zu Hause nichts zu essen? Schmeckt euch meine Küche nicht?«
    »Darum geht es doch gar nicht. Wir gehen nicht aus, um zu essen, sondern um zu feiern, uns fremde Leute anzukucken und uns selbst zu zeigen«, entgegnete ich vorsichtig.
    Onkel Joe widersprach weiter: »Was können sie dort, was wir nicht können?«, philosophierte er. »Die Musik? Ich habe einen Kassettenrecorder in der Garage. Singen können wir sicher besser, und das Feuerwerk vom ›Alten Baku‹ erinnert an Weihnachten im Kindergarten! Wir haben dort nichts verloren.«
    Dabei war ihm anzumerken, dass auch Onkel Joe gespalten war. In der Tiefe seines Herzens reifte der Wunsch auszugehen, andererseits wollte er uns auf gar keinen Fall zeigen, dass er seine Meinung geändert hatte. Er ließ also weiterhin jeden Abend eine Propaganda-Ansprache gegen das Restaurant vom Stapel.
    »Auf meinem Hof kann ich im Pyjama zu Tisch kommen, ich kann die Schuhe ausziehen, wann ich möchte, ich kann so herum sitzen oder so herum sitzen und die Füße auf die Bank legen. Im Restaurant muss ich eine Krawatte tragen, man darf dort nicht laut schmatzen und in der Nase bohren«, fuhr der Onkel fort, der nie seine Füße auf die Bank legte, schmatzte oder in der Nase bohrte. Alle seine Argumente waren nur Ausreden. In Wirklichkeit hatte er bloß Bedenken, dass der Besuch des Restaurants seine Seriosität bei der Nachbarschaft im Dorf in Frage stellen würde. Ich machte jeden Abend auf dem Hof massive Werbung für »Altes Baku« – für die dortige Küche und den Service, wobei ich jedoch ebenfalls noch nie dort gewesen war.
    »Die Kutabi, ein armenisches Nationalgericht, das werden wir auf dem Hof doch nie

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