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Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
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hinkriegen«, beschwor ich die Familie.
    »Vielleicht haben sie nur aserbaidschanische Küche«, konterte der Onkel.
    »Die Kutabi sind auch ein aserbaidschanisches Nationalgericht!«, gab ich nicht auf.
    Unser diesjähriger Kaukasusurlaub ging langsam, aber sicher zu Ende, die Chancen, das »Alte Baku« einmal von innen kennenzulernen, schwanden. Kurz vor unserer Abreise zog ich meinen letzten Trumpf aus dem Ärmel: den Geburtstag! Meinen Geburtstag. Zu meinem Geburtstag lud ich die Familie ins Restaurant »Altes Baku« ein – eine solche Einladung konnten sie mir nicht abschlagen. Und ich hatte richtig kalkuliert.
    Die Vorbereitungen für den Restaurantbesuch zogen sich in die Länge. Einen halben Tag brauchten die Frauen, um sich hübsch zu machen. Die Tochter von Onkel Joe glänzte in einer goldenen Bluse, die Schwester der Schwiegermutter trug einen riesigen weißen Hut. Einem alten Familienbrauch folgend, machten wir noch ein Foto von uns allen, bevor wir aufbrachen. Zwischen dem alten und dem neuen »Alten Baku« hatten wir uns für die klassische Variante entschieden, das alte »Alte Baku«. Den neuen Laden bewahrten wir uns für später auf. Zu zwölft gingen wir los, durch die Steppenstraße, begleitet von den Hunden Stepan, Schutschka und Tschernuschka, die uns mit lautem Bellen bis zum Restaurant folgten. Die Nachbarn in der Steppenstraße wussten natürlich von unserem Kreuzzug. Etliche standen an den Zäunen und begutachteten unseren festlich gekleideten Trupp.
    »Zum ›Alten Baku‹«, erklärte der Onkel jedes Mal ungefragt, »mal ausgehen, nicht? Ins alte ›Alte Baku‹«, verdeutlichte er. Er hielt sogar den im Auto vorbeifahrenden Nachbarn Gleb Michailowitsch auf der Straße an, um ihm dieselbe Nachricht zu überbringen.
    »Und ich bin letztes Jahr ans Meer gefahren – acht Stunden und du bist da«, erwiderte Gleb Michailowitsch etwas unvermittelt.
    Aus der Nähe sah das Restaurant »Altes Baku« wie ein gewöhnliches Restaurant aus. Vor dem Eingang unter der Laterne saß ein Kellner im Anzug mit einer schicken roten Fliege am Hals, aber ohne Schuhe, und schnitt sich sehr konzentriert die Fußnägel. Auf dem Parkplatz vor dem Laden standen zwei Autos. Alles deutete darauf hin, dass der Abend noch nicht richtig begonnen hatte.
    »Haben Sie reserviert?«, erkundigte sich ein anderer Kaukasier mit schwarzer Fliege, die so fest an seinen Hals gebunden war, dass sie mit den Flügeln winkte, während der Mann sprach.
    »Keine Reservierung?«, fragte er noch einmal nach und schaute uns kritisch an.
    »Wir sind Nachbarn«, fing Onkel Joe an, eine Brücke zu schlagen. »Wir kommen von der Steppenstraße, kennst du die Kantine an der nächsten Ausfahrt? Die ist von uns. Wir sind zum Erfahrungsaustausch zu euch gekommen«, sagte der Onkel und hustete dabei bedeutungsvoll in die Faust.
    »Ich schaue mal, was sich machen lässt«, sagte der Fliegenmann und begleitete uns in das Innere des Lokals.
    Die bescheidene Hausfassade erwies sich als Tarnung, als biedere Dekoration, die eine unendliche Pracht, einen Paradiesgarten von der Größe eines Naturschutzgebietes verbarg. Das Restaurant »Altes Baku« stand auf einem Hügel und hatte zwei Gesichter. Nach außen sah man nur einen weißen Zaun und ein geschwärztes großes Fenster. Innen gab es hohe Wasserfälle, Brunnen aus Marmor, goldene Fische in einem Teich, lebende Flamingos, Fasanen, wilde Hühner und Papageien, die zwischen den Tischen spazieren gingen. Dazu drei ältere Männer, die um ein Keyboard herumstanden. Jeder Tisch war überdacht. Genau genommen waren es gar keine Tische, sondern kleine Häuschen ohne Wände. Zu jedem solchen Haus gehörten ein Kaukasier mit Fliege und ein Mädchen im Minirock. Wir alle, besonders die Kinder, waren schwer beeindruckt. So viele schöne Vögel!
    »Wir haben auch noch eine Eule, die schläft gerade. Und einen Pfau«, erzählte das Mädchen im Minirock stolz.
    Die Kinder liefen sofort los, um sich die Eule anzukucken. Vom Fliegenmann bekamen wir ein Holzhaus direkt am Wasserfall zugewiesen mit Blick auf die Eisenbahnbrücke. Die Männer am Keyboard sangen – vermutlich in einer südkaukasischen Sprache: Georgisch, Armenisch oder Aserbaidschanisch. Wir verstanden sie nicht. Wir hatten schon Mühe, einander zu verstehen, denn sie spielten sehr laut. Dazu fuhren in regelmäßigen Abständen die Züge mit einem Stöhnen über die Brücke. Die Speisekarte im »Alten Baku« erinnerte in ihren Ausmaßen an Das Kapital

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