Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Meine kaukasische Schwiegermutter

Meine kaukasische Schwiegermutter

Titel: Meine kaukasische Schwiegermutter Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Wladimir Kaminer
Vom Netzwerk:
Freunde hatten Gewehre und zögerten nicht, Gebrauch von ihnen zu machen.
    Worauf wird im Kaukasus geschossen? Der Imker Juri Wladimirowitsch schießt zum Beispiel auf kleine graue Vögel, die seinen Bienen die Köpfe abreißen. Diese spatzenähnlichen kaukasischen Vögel betrachten Bienenköpfe als Delikatesse. Sie kommen in Scharen zu Juri Wladimirowitsch auf den Hof, fliegen herum, und eine Minute später liegt schon ein Haufen geköpfter Bienen vor dem Tor. Juri Wladimirowitsch hatte lange Zeit versucht, friedlich gegen diese Vögel vorzugehen, indem er auf dem Hof mit den Armen ruderte und pfiff, um die Vögel mit seiner Darstellung einer lebendigen Vogelscheuche zu beeindrucken. Seine schauspielerische Leistung versagte jedoch, die Vögel nahmen keine Notiz von ihm. Daraufhin feuerte er sein Gewehr ab. Das zeigte Wirkung. Die Vögel bekamen Angst und ließen die Bienen für eine Weile in Ruhe. Leider haben Vögel nur ein kurzes Gedächtnis. Zwei Tage später kamen sie wieder. Juri Wladimirowitsch dachte sich, wenn er einen Vogel erwischen würde, sähe die Sache vielleicht anders aus. Er zielte auf die Vögel nach allen Regeln der Schießkunst, schoss aber nur seine eigene Satellitenschüssel vom Dach.
    Der andere Nachbar, Gleb Michailowitsch, schießt nur zu großen Feiertagen, Familienfesten, oder wenn die russische Fußballmannschaft erfolgreich gespielt hat. Manchmal gibt er Warnschüsse auf große Flugzeuge ab, wenn sie aus seiner Sicht zu tief fliegen. Auch er hat bis jetzt noch nie getroffen. Beide Nachbarn gehen im Winter weiße Hasen schießen, die es, Gerüchten zufolge, massenweise hinter dem Berg gibt. Mehrmals luden sie Onkel Joe ein mitzukommen, der hatte aber noch keine Genehmigung zum Waffenkauf ergattert.
    Es kann in Russland bis zu einem Jahr dauern, bis man einen Waffenschein bekommt. Derjenige, der nach Waffen giert, muss sich zuerst mit einem Psychiater über den Sinn des Lebens unterhalten, eine Unbedenklichkeitsbescheinigung von der Polizei und von der Steuerbehörde einholen und sich einem Sehtest unterziehen. Der Staat will sich vergewissern, dass der Waffeninhaber wenn schon, denn schon auch trifft. Natürlich können die russischen Sicherheitsauflagen mit den Waffengesetzen im kindersicheren Deutschland nicht konkurrieren. Wo doch hier jeder Schütze seine Waffe nur in einem speziellen Stahlschrank durch die Gegend schleppen darf, wobei die Schlüssel des Schrankes in einem anderen Schrank mindestens zwanzig Meter unter der Erde und fünf Kilometer von der Waffe entfernt deponiert werden müssen.
    Onkel Joe fühlte sich lange Zeit als waffenloser Steppenbewohner ziemlich unsicher. Nicht einmal die Steppenmäuse hatten Angst vor ihm. Er gab sich große Mühe bei den ärztlichen Attesten, bekam dann auch tatsächlich die Genehmigung zum Erwerb einer Waffe und suchte dann sehr lange nach dem richtigen Gewehr. Fast zu lange. Die Erlaubnis, eine Waffe zu kaufen, gilt nämlich nur für eine beschränkte Dauer, maximal ein halbes Jahr. Danach muss man erneut einen Sehtest machen und mit einem Psychiater über den Sinn des Lebens reden. Drei Tage bevor seine Erlaubnis abgelaufen wäre, fand Onkel Joe doch noch die richtige Knarre. Die Freude über die Waffe war groß, der erste Schuss aber noch immer nicht gefallen.
    »Wir warten auf den Winter, dann gehen wir mit den Nachbarn zusammen auf die Jagd«, erklärte mir der Onkel am Telefon. »Weiße Hasen!«, erzählte er begeistert.
    Neuerdings wurde sogar ein Wildschwein hinter dem Berg gesichtet, obwohl Gleb Michailowitsch behauptet, das Wildschwein sei nur halb so wild: In Wirklichkeit sei es früher ein Ferkel in einem Haushalt im Dorf gewesen, dem erst vor kurzem die Flucht gelungen sei. Es zog sich hinter die Berge zurück und versucht dort, sich als freies selbständiges Schwein eine neue Existenz aufzubauen.
    Der Winter naht. Ich hoffe, die Kosaken, die Hasen und das Schwein werden die Jagdsaison gut überstehen.
     

 
15 -
Das kaukasische Mineralmeer
     

     

Alle drei Monate besucht uns meine Schwiegermutter. Sie bleibt auf den Tag genau drei Monate bei uns in Berlin, das ist die maximale Aufenthaltsdauer, die von der deutschen Gesetzgebung für den Besuch einer Schwiegermutter aus dem Kaukasus vorgesehen ist. Ich weiß nicht, an welchen Richtlinien sich der deutsche Gesetzgeber in diesem Fall orientiert, aber es muss schon vernünftige Gründe für diese Regel geben. Alles in Deutschland hat vernünftige Gründe. Vielleicht ist es

Weitere Kostenlose Bücher