Meine kaukasische Schwiegermutter
von Karl Marx. Man hätte sicher bei dieser Lektüre genüsslich mehrere Abende verbringen können, doch so viel Zeit hatten wir nicht.
»Bringen Sie uns bitte etwas zu essen«, bestellte ich.
»Und etwas zu trinken«, ergänzte meine Frau.
»Ich habe verstanden«, nickte der Fliegenmann. »Welche Art Essen bevorzugen Sie? Armenisch, aserbaidschanisch, georgisch?«, fragte er vorsichtig.
»Ist uns egal, Hauptsache, es schmeckt. Bringen Sie uns von allem ein bisschen«, bestellten wir ganz internationalistisch.
»Ich habe verstanden«, wiederholte der Kellner, lächelte und verschwand in der Küche.
In fröhlicher Erwartung tranken wir aserbaidschanischen Rotwein, der angenehm leicht war und kalt serviert wurde. Die anderen Gäste waren größtenteils Männer, die mit mehreren Frauen gleichzeitig etwas feierten. Während wir auf das Essen warteten, nervte Onkel Joe das Personal mit bohrenden Fragen. Er wollte alles wissen. Wie funktioniert der Wasserfall, woher nehmen Sie das Wasser, haben Sie einen eigenen Brunnen gebohrt oder mit jemandem geteilt? Wer hat die Stromleitung gelegt und wer den Laden gebaut? Auch fragte Onkel Joe, wer die Chefs seien, Armenier oder Aserbaidschaner. Entgegen unserer Vermutung waren es Aserbaidschaner.
»Wir halten nichts von nationalen Konflikten, bei uns sind alle willkommen«, versicherte uns der Kellner.
»Ahso«, nickte Onkel Joe verständnisvoll. »Na dann. Wir sind zum Beispiel ursprünglich aus Tschetschenien.«
»Das macht uns auch nichts aus«, entgegnete der Kellner und servierte ein internationales Gericht.
Von jedem Gang gab es drei Varianten, und, was soll ich sagen, einen großen Unterschied habe ich nicht bemerkt. Nun weiß ich, dass die Georgier ihre Kutabi – Teig mit gehacktem Fleisch – wie die Russen ihre Pelmenis zusammenkleben, dass die aserbaidschanischen Kutabi ausgerollt und nicht zusammengeklebt serviert werden und die armenischen bloß an den Ecken festgemacht werden. Schmecken tun sie alle.
Zum späten Abend füllte sich das Restaurant, wir waren die Ersten, die auf die Tanzfläche gingen. Onkel Joe, der drei Jahre in der sowjetischen Armee bei der Schwarzmeerflotte als Matrose gedient hatte, sprach mit den Musikern und bestellte bei ihnen ein sowjetisches Lied aus der Zeit des Kalten Krieges: »Mach’s gut, du liebe Martha, wir segeln morgen weiter, wir gehen heute ins Meer, wir sehen uns nicht mehr« – ein Ohrwurm aus dem vorigen Jahrhundert, als wir alle noch ein großes sozialistisches Volk waren. Die alten Musiker kannten es natürlich und spielten es gleich drei Mal hintereinander. Das Lied wurde von den anderen Gästen mit Verständnis aufgenommen.
Mit einem Gefühl, wie es einen nach getaner Arbeit überkommt, verließen wir müde, aber zufrieden kurz vor Mitternacht das »Alte Baku«. Vor dem Restaurant trafen wir auf alte Freunde: die Hunde Stepan, Tschernuschka und Schutschka, die den ganzen Abend auf uns gewartet hatten. Auf dem Rückweg in die Steppenstraße sangen wir weiter allgemein zugängliches Liedgut, obwohl wir verhältnismäßig wenig getrunken hatten, eigentlich gar nichts nach kaukasischen Maßstäben. Auch ohne uns ist es nachts in der Steppe immer laut. Die Frösche quaken, die Mäuse stöhnen, die Hunde jaulen, die Zikaden stricken an ihrem unsichtbaren Teppich, unbekannte Vögel rauschen vorbei, und manchmal meldet sich mit einem deftigen Muh! eine nächtliche Kuh, die vielleicht schlecht geträumt hat.
13 -
Die Besonderheiten
des kaukasischen
Glaubens
Einmal saßen wir mit Onkel Joe im Garten, aßen Äpfel und spielten Schach. Dazu tranken wir wie immer Cognac. Wir befanden uns nämlich beide seit einer Woche auf Cognacdiät, das heißt jeden Abend eine halbe Flasche vor dem Essen. Diese Diät hat sich ganz natürlich aus dem kaukasischen Patriotismus des Onkels entwickelt. Vor dem Abflug in Berlin hatte ich am Flughafen eine Flasche Hennessy gekauft und sie bei der Ankunft dem Onkel geschenkt. Wir tranken die Flasche gleich am ersten Abend aus. Anschließend machte ich den Fehler, dieses feine ausländische Produkt zu loben. Der Onkel gab mir Recht, was die Qualitäten von Hennessy betraf, obwohl er gleich dazu bemerkte, dass die Flasche doch zu schwul aussehe. Gleichzeitig bemühte er sich um eine Richtigstellung.
»Du kommst mit fremdem Cognac in den Kaukasus, nur weil du mit den hiesigen Sorten nicht vertraut bist. Dabei werden bei uns sehr hochwertige Produkte gebrannt, die in nichts ihren
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