Meine kaukasische Schwiegermutter
der Region. Ein türkischer Konzern bot vor zehn Jahren an, eine Kette von Spa-Hotels im Nordkaukasus zu errichten: zwölf Spa-Hotels in den Bergen neben den heilenden Mineralwasserquellen, die bei Magen-Darm-Beschwerden halfen. Der Wirtschaftsplan versprach eine üppige Dividende. Reiche Touristen mit Magen-Darm-Beschwerden würden in Scharen kommen, die kaukasischen Berge mit ihrer Valuta vergolden und das Gebiet in ein südrussisches Antalya verwandeln, versprachen die Türken. Sie haben ein hübsches Modell von den Hotels angefertigt und es der administrativen Leitung des Roten Gürtels geschenkt. Mit diesem Modell konnten die Kommunisten auf vielen Wirtschaftsforen und Symposien zur regionalen Entwicklung angeben. Es sorgte stets für Staunen und zustimmendes Kopfnicken und galt als vielversprechendes Investitionsobjekt. Der Gouverneur weihte als symbolisches Zeichen für den Baubeginn des Projekts sogar eine kleine Grube für das Fundament ein, am Fuß eines Berges, ganz in der Nähe des Dorfes meiner Schwiegermutter.
Mit den Jahren kamen neue Einzelheiten zum ursprünglichen Projekt hinzu, neues Geld floss in die Baugrube, ein neuer, ebenfalls kommunistischer Gouverneur – der alte musste wegen Vielweiberei zurücktreten – nahm das Projekt ins Visier. Unter seiner Schirmherrschaft wurde es immer bombastischer. Es ging nicht mehr nur um Hotels, es ging um ein Meer. Ein Mineralmeer, eine typisch sozialistisch-kapitalistische Wahnidee, beschwerte sich meine Schwiegermutter. Es wird nun neben ihrem Dorf ein drei Meter tiefes Mineralmeer gegraben, mit einem zehn Hektar großen Meeresspiegel. Dafür müssen ein paar Berge von der Karte getilgt werden, und vermutlich werden alle Mineralwasserquellen der Region dadurch austrocknen. Dafür bekommt der Nordkaukasus etwas, was es nirgendwo sonst auf der Welt gibt: ein ganzes Meer aus Mineralwasser, das gegen Magen-Darm-Beschwerden hilft. Die Bewohner laufen gegen dieses Projekt Sturm. Als Steppen- und Bergmenschen haben sie Angst vor dem Meer. Was kommt als Nächstes, fragen sich die Leute. Was kann uns noch passieren? Alles ist denkbar in diesem sozialistischen Kapitalismus. Ein Vulkan könnte in einen Berg gebohrt werden, ein Mineralwasserfall gebaut, eine neue Rasse von Mineralwalen gezüchtet werden. Schon jetzt sind viele regelrecht seekrank.
»Wir sind gerade dabei, von Bergbewohnern auf Seeleute umzuschulen«, lachte die Schwiegermutter bitter.
»Denk bitte daran«, bat mich mein Sohn, der die ganze Zeit unserem Gespräch über die Probleme der Schwiegermutterregion gelauscht hatte, »dass wir im August, wenn wir in den Kaukasus fahren, unbedingt eine Angel mitnehmen!«
Dabei hob er mahnend den Zeigefinger.
16 -
Meine Schwiegermutter
in Berlin
Die großen überdachten Kaufhallen für Lebensmittel, die sogenannten Supermärkte, sind im Nordkaukasus verpönt. Der einzige Lebensmittelladen im Dorf meiner Schwiegermutter hat die Größe einer Berliner Eisdiele. Die Hälfte des Platzes nimmt die Verkäuferin in Anspruch, die andere Hälfte ist mit Brot, Makkaroni, Zucker, Salz und Zigaretten vollgestellt. Es werden außerdem noch Milch und Butter verkauft, die von der eigenen Kuh der Verkäuferin kommen. Das dekadente Lebensmittelsortiment eines Supermarktes, die Armee von Joghurts mit gesundheitsfördernden Bakterien, die Fleischpasteten aus der Leber exotischer Tiere, die Barrikaden aus Ananaskonfitüre finden in der ländlichen Gegend des Kaukasus keine Abnehmer. Hier wird nur etwas verkauft, was die Bewohner jeden Tag zum Leben brauchen.
Bei uns in Berlin wundere ich mich seit zwanzig Jahren über die Menge der Lebensmittel, die in den Hallen der großen Supermärkte ausliegt. Das eindrucksvolle Sortiment tut mir leid und lässt außerdem viele Fragen offen. Ich glaube nicht, dass diese Mengen jemals tatsächlich verkauft werden können. Wer soll das alles lagern und essen? Selbst wenn jeder Berliner eine Kaufkraft von der Stärke einer Atombombe und den Magen eines Mammuts hätte, würde man es nicht schaffen, alle Regale in den Supermärkten leer zu kriegen. Jemand, der am Ende des Tages als letzter Kunde in einem Supermarkt vorbeischaut, findet die Regale genauso voll, wie sie am Vormittag waren, als hätten die Kunden gar nichts nach Hause mitgenommen. Dabei sind die meisten Produkte in diesen Kaufhäusern schnell verderblich, sie können nicht ewig im Regal liegen.
Es gibt nur eine Erklärung: Irgendwo tief unter der Erde muss es
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