Meine kaukasische Schwiegermutter
mit Fragen. Ob die Menschen im Kaukasus freundlich seien? Ob es dort einen Geldautomaten gäbe? Ob wir eine Drehgenehmigung von der Administration bräuchten? Ob das Hotel eine Lüftungsanlage habe? Und was passiere, wenn die Kamera nicht durch den Zoll käme? Die Angst war wie ein mehrköpfiger Drache. Kaum schlug man einen Kopf ab, sofort wuchsen an seiner Stelle zwei neue. Die jahrzehntelange Verteufelung des Ostens im Westen tat ihr Übriges. Das gefährliche Wort Kaukasus, das man mit bärtigen Rebellen und unterdrückten Frauen verband, ließ das Team schon vor der Abreise zittern. Der Kameramann surfte im Internet und fand heraus, dass der Flughafen von Mineralnye Wody der unsicherste Flughafen Europas, die dortige Stromversorgung die unsicherste Versorgung und der gesamte Kaukasus so ziemlich der unsicherste Kaukasus sei, den es in diesem Teil des Planeten gäbe. Sie quälten mich mit ihren Ängsten und Fragen.
Aus eigener Erfahrung wusste ich, dass Frauen mit Männerängsten am besten umgehen können. Ich bat also meine Frau, die Fragen der deutschen Filmkollegen zu beantworten. Ja, schrieb meine Frau nach Köln, die Bevölkerung im Kaukasus ist total unfreundlich, sie hauen jedem, statt ihn freundlich zu begrüßen, gleich aufs Maul. Und Geldautomaten stehen zwar an jeder Ecke, zeigen aber immer nur »Fuck off« an, wenn man seine Karte reinsteckt. Die Kamera ist eigentlich schon so gut wie weg, zusammen mit dem Kameramann, und eine Drehgenehmigung kann man im Kaukasus nur mit seinem Blut bezahlen. So unterhielten wir uns und hatten dabei unseren Spaß.
Der August kam, und meine Frau und ich flogen schon einmal von Berlin über Moskau nach Mineralnye Wody voraus. Das deutsche Team sollte drei Tage später von Köln aus fliegen. Auf dem Moskauer Flughafen Scheremetjewo wartete eine Menge Passagiere auf die Maschine in Richtung Kaukasus. Wir tranken Tee mit Cognac im Flughafencafé mit dem lustigen Namen »Nach dem Regen«. Dabei regnete es draußen in Strömen, so dass dieses kleine Café jederzeit wegzuschwimmen drohte.
»Wie ist das Wetter im Kaukasus?«, fragte eine nette Frau interessiert, die neben uns am Tisch saß.
»Zwischen zwanzig und vierzig Grad, meist Sonne, manchmal Regen, wie immer um diese Jahreszeit«, antworteten wir.
»Hoffentlich wird es nicht so drückend heiß wie bei uns im letzten Monat«, seufzte die Frau. Sie kam aus New York.
Ein anderer flog aus Teheran in den Kaukasus, und eine ganze Gruppe Jugendlicher kam aus der sibirischen Nenzen-Hauptstadt Narjan-Mar.
»Ich wusste gar nicht, dass in Narjan-Mar so viele Menschen leben«, witzelte meine Frau.
Im Kaukasus angekommen wurden wir feierlich empfangen. Wir probierten die Weine, verteilten die Geschenke, besichtigten die Kantine und begrüßten die gestriegelten Kühe. Unser Film war startklar. Im Fernsehen liefen auf allen Kanälen die Olympischen Spiele und die humanitäre Katastrophe in Südossetien. Einen Tag nach der Eröffnung der Olympiade bombardierte Georgien Südossetien, die Osseten schlugen zurück, die russischen Friedenstruppen begannen ihre Operation »Erzwingung des Friedens«, und im Fernsehen sah man zerschossene Häuser und Zivilisten auf der Flucht.
»Ist alles in Ordnung bei euch? Hier sieht man aus dem Kaukasus nur Schlimmes«, fragte mich der Leiter des deutschen Teams per SMS.
»Alles ruhig«, antwortete ich. »Der Konflikt ist doch fünfhundert Kilometer weit weg auf der anderen Seite der Berge. Es gibt hier gar keine Wege, die dorthin führen. Also absolut keine Gefahr«, versuchte ich die deutschen Kollegen zu beruhigen.
Es war vergeblich, sie kamen nicht. Uns blieb nichts anderes übrig, als der Steppenstraße die traurige Nachricht zu übermitteln, dass es den Film nicht geben werde, wegen des Krieges im Kaukasus.
»Hinter jeder schlechten Nachricht versteckt sich eine gute«, sagte der Onkel, ein unbeugsamer Optimist. »Der Müll würde noch immer in der Sackgasse liegen, das Ortsschild schräg stehen, Gleb Michailowitsch ohne Zähne und die Kühe ungestriegelt herumlaufen, wenn es diese Filmidee gar nicht gegeben hätte. Mit der bloßen Ankündigung der Dreharbeiten sind wir zwar nicht im Fernsehen gelandet, aber uns ist damit bereits vieles gelungen. Vor allem ist unser Leben besser und irgendwie lustiger geworden.«
Wir tranken, sangen, tanzten und feierten mit der Straße, so wie wir es in dem Film gemacht hätten. Nur ohne Kamera. Nach drei Tagen war der Konflikt in Südossetien zu
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