Meine kaukasische Schwiegermutter
Ende. Die Russen hatten die Georgier aus Ossetien weggebombt. Die offizielle Version des Kreml lautete, der georgische Präsident hätte den Konflikt auf Bitten des amerikanischen Präsidentschaftskandidaten McCain angezettelt, um die Russen zu provozieren. McCain war als Flieger in Vietnam von einer russischen Rakete abgeschossen worden, das war aber schon zu lange her. Er brauchte neue russische Raketen, um den Wählern seine damalige Heldentat ins Gedächtnis zurückzubomben, und hatte deswegen Georgien mit falschen Versprechungen zu falschen Handlungen ermuntert.
Der Chef der Kölner Produktionsfirma Tag und Nacht rief uns im Kaukasus an. Der Sender machte ihm Druck, sie fragten, wann nun der Film käme. Aber wir hatten keine Zeit mehr, denn der Kaukasus ist mit seiner übertriebenen Gastfreundschaft, dem Wein, der Musik und dem Gesang auf Dauer wirklich gefährlich.
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Oh, wie gefährlich ist
der Kaukasus. Teil II
Der Krieg zwischen Georgien und Südossetien hat in Russland für einen ungeheueren Patriotismusschub gesorgt. Zum ersten Mal seit 1945 waren wir wieder wer – ein großes Land freute sich wie ein Kind über den Sieg gegen seinen klitzekleinen Nachbarn. Die Freude war so ungehalten, als hätte man Amerika persönlich geschlachtet. Südossetien und Abchasien wurden von Russland sofort als unabhängige Länder anerkannt, und die russische Armee begann dauerhafte Manöver in der Region, mit dem Ziel, den Frieden zu sichern und der Welt ihre Stärke zu demonstrieren.
Nach unserem gescheiterten Filmversuch hatte ich nicht vor, dieses unglücklich verlaufene Projekt jemals zu wiederholen. Doch die deutsche Öffentlichkeit ließ sich nicht ablenken. Auf einer Lesung in Oberhausen besuchte mich der Chef der Tag und Nacht GmbH .
»Wann drehen wir den Film, Herr Kaminer?«, fragte er.
Der Sender machte Druck, das Geld für den Film war bereits zum Teil ausgegeben worden, es führte kein Weg zurück. Wir verabredeten uns für den August 2009 zum Schwiegermutter-Film im Nordkaukasus. Die Zeit verstrich schnell. Je näher der Sommer kam, desto nachdenklicher wurde ich. Es kamen schlechte Nachrichten aus dem Kaukasus. Hoffentlich bereiten sie für den August nicht schon wieder einen Krieg vor, dachte ich. Im Juli beschuldigten die georgische und die südossetische Seite sich gegenseitig, wieder mit dem Beschuss angefangen zu haben. Der Frieden hing an einem seidenen Faden, doch die russische Führung dachte bereits über die Winterolympiade in Sotschi nach, die ohne eine Stabilisierung in der Region nicht durchzuführen war. Kurzum: Der seidene Friedensfaden hielt.
Auch meine Schwiegermutter und ihre ganze Familie signalisierten uns, sie wären für den Film bereit. Und die Firma Tag und Nacht ging diesmal auf Nummer sicher. Sie hatte ein Team zusammengestellt, das aus erfahrenen, kriegserprobten Genossen bestand, die schon an mehreren Brennpunkten der Erde gedreht hatten und sich in Krisenländern wie zu Hause fühlten. Furchtlos gingen diese Menschen im Dienste der Kinematografie durch Feuer, Wasser und Korruption. Sie hatten bereits mehrmals dem Tod und anderen unangenehmen Erscheinungen ins Auge gesehen und keine Angst vor dem Nordkaukasus. Für den Regieposten war der junge Schweizer Luis engagiert worden, der schon einmal in Moskau einen Film über heroinabhängige Jugendliche gedreht und in Bolivien eine Gruppe auf Schatzsuche begleitet hatte und für einen Film über die Härte von Schwulenpornoproduktionen in der Dritten Welt ausgezeichnet worden war. Als Kameramann war derselbe Luis engagiert worden, weil es besser war, wenn bei solchen Projekten Kamera und Regie in einer Hand lagen. Er sollte den Film nach dem Dreh auch selbst schneiden. Das schien nur logisch, zumal er ihn ja schon selbst gedreht hatte.
Für die kaukasische Tonspur bekam Luis Tamara zur Unterstützung, ein Mädchen mit fröhlichem Charakter und serbischen Wurzeln. Auch Tamara war eine kampferprobte Dokumentarfilmerin. Sie hatte in Brandenburg einen Film über Jungnazis gedreht, war auf der Suche nach den Spuren eines Kriegsverbrechers gewesen und hatte ein albanisches Mädchen gefilmt, das mit siebzehn Jahren schon drei Mal verheiratet gewesen war. Ich bat die GmbH, auch meinen Freund Vitali in das Team aufzunehmen als Aufnahmeleiter, Dolmetscher und Problemlöser. Damit waren wir bestens für das Abenteuer Kaukasus gerüstet.
Natürlich machte sich die Firma trotzdem Sorgen. Schon Wochen im Voraus wollte sie
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