Meine kaukasische Schwiegermutter
Musikinstrumenten, die dort an den Wänden hingen, und befahl seinem Sohn, eines auszuwählen. Juri Wladimirowitsch wählte damals die Geige, weil sie ihm das kleinste und niedlichste Instrument zu sein schien. Später stieg er auf das Bajan um, ein chromatisches Akkordeon. Noch später ließ er sich einen Schnurrbart wachsen, wurde Direktor einer Musikschule und achtete bei den Prüfungen darauf, dass die tschetschenische Jugend ihr Bajan oder Akkordeon richtig herum umschnallte und nicht mit den Bässen nach unten.
Doch die Musikschule bestimmte sein Leben nur äußerlich, in Wahrheit ließ die Musik Juri Wladimirowitsch kalt. Seine wirkliche Leidenschaft galt den Bienen. Er besaß schon immer ein paar Bienenstöcke, so wie andere Jungs sich Tauben hielten. Auf dem neuen Territorium in der Steppe, wo es keine Musikschulen gab, wurde er endlich hauptberuflicher Imker. Sein Traum, statt Musik Honig zu machen, wurde aus der Not Wirklichkeit. Monatelang zieht er heute mit seinen Bienen von einem Feld zum nächsten, durch die Berge und Steppen des Kaukasus, die mit blütenreichen Bäumen, Sträuchern und Gräsern übersät sind. Nur er weiß, wo wann was wächst, und er geht immer da hin, wo die Bienen glücklich sind.
Der Nachbar zur Rechten, Gleb Michailowitsch, war in seinem früheren Leben Baustellenleiter. Mit dem Alter zog es ihn zur Kunst. Er entdeckte plötzlich sein Talent für die Malerei und verkaufte selbst gemalte Bilder auf dem Markt. Am besten gehen Naturansichten: Berge, Landstraßen, Bushaltestellen. Die Menschen in der Region kaufen am liebsten Landschaften, die sie gut kennen, denen sie jeden Tag begegnen, die ihnen stets vor Augen sind. Oft kopiert das Bild ziemlich genau den Blick aus ihrem eigenen Fenster. Sie kaufen sich Kopien von Bergen, Landstraßen und Bushaltestellen, die sie im Original haben, hängen sie an die Wand, und wenn sie Besuch bekommen, zeigt der Gast mit dem Finger auf das Bild und sagt: »Ach! Das ist doch?« Und der Gastgeber nickt.
Gleb Michailowitsch lacht über die Verrücktheit seiner Mitmenschen. Es macht ihm nichts aus, Landschaften zu malen, er kann das gut. Aber sein künstlerisches Ego befriedigen solche Bilder nicht. Viel lieber würde Gleb Michailowitsch seine eigentlichen Herzensbilder unter die Massen bringen. Sein Steckenpferd ist die religiöse Malerei nach biblischen Motiven im Geiste der alten russischen Akademie. Seit Jahren arbeitet er an einem Bild, das ein urmenschliches Flüchtlingsdrama thematisiert: »Adam und Eva mit Kindern halbnackt unter dem Baum nach ihrer Vertreibung aus dem Paradies«. Er hat es dem breiten Publikum bis jetzt noch nicht gezeigt.
Die Idee für den Film mit dem Arbeitstitel »Meine kaukasische Schwiegermutter« wurde vom Sender und der Produktionsfirma Tag und Nacht gut aufgenommen. Anfang August, zeitgleich mit den Olympischen Spielen in Peking, sollten die Dreharbeiten beginnen. Im Kaukasus ließ mein Plan, einen Film über das dortige Leben zu drehen, niemanden kalt. Der Bruder meiner Schwiegermutter rieb sich die Hände und bat mich, einen Brief an die Administration des Bezirks zu verfassen, mit der Aufforderung, die Berge von Müll aus der Sackgasse hinter der Kantine zu beseitigen sowie das bei einem Unwetter umgefallene Ortsschild des Nachbarstädtchens wieder aufzurichten, die Haltestelle für die Sammeltaxis auszuschildern und endlich die Ausfahrt zu asphaltieren, um dieses gute Stück Kaukasus vor den Augen der Weltöffentlichkeit nicht zu blamieren. Natürlich musste der Brief auf einem offiziellen Formular mit deutschem Stempel und aktuellem Datum verfasst werden, damit die Administration ihn ernst nahm.
Der Onkel versprach sich viel von dem Film. Alle anderen erwarteten die Dreharbeiten ebenfalls als große Attraktion. Die Russen vergöttern das Fernsehen sowieso, obwohl sie wie alle anderen Völker gerne über die Deppen in der Glotze schimpfen. Aber einmal im Fernsehen aufzutreten, ist wie im Himmel zu landen. Die Mitarbeiter der Kantine ließen sich neue Uniformen anpassen, der Maler Gleb Michailowitsch ließ sich extra zu dem Termin neue Zähne machen, und der Bienenkönig Juri Wladimirowitsch kehrte einen Monat früher als geplant von den saftigen Wiesen Inguschetiens zurück, nur um das Filmteam nicht zu verpassen. Und die beiden einzigen Kühe der Siedlung wurden gründlich gewaschen und gekämmt.
Die Deutschen bereiteten sich ebenfalls auf die Reise vor. Sie machten sich Sorgen und überschütteten mich
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