Meine kaukasische Schwiegermutter
den genauen Namen und die Adresse des Hotels in Schelesnowodsk wissen, das meine Schwiegermutter für das Team gebucht hatte. Die Firma traute niemandem und wollte wahrscheinlich nachprüfen, ob dort tatsächlich wie versprochen drei Zimmer der Halbluxe-Kategorie auf das Team warteten. Ich wusste den Namen des Hotels nicht und rief im Kaukasus an.
»Was für ein Name?«, wunderte sich meine Schwiegermutter. Sie kenne nur den Weg dorthin und könne ihn gut beschreiben, aber den Namen des Hotels habe sie nicht behalten.
»Sie können aber unmöglich im falschen Hotel landen«, beruhigte sie mich am Telefon. »Es gibt in Schelesnowodsk nur ein Hotel.«
Während sie mir das erzählte, kuckte ich im Internet auf der schön aufgemachten Seite »Schicke Hotels in Schelesnowodsk« nach. Es gab tatsächlich nur eines: Es hieß »Perle des Kaukasus« und befand sich auf der zentralen Leninstraße. Im Internet sah das Hotel zwar nicht superschick, aber auch nicht besonders schäbig aus. »Fast alle Zimmer haben Balkon mit Blick auf die Bushaltestelle«, las ich in der liebevollen Beschreibung des Standortes. Dieser selbstsichere Internetauftritt mit dem naiven Eingeständnis, das einzig Sehenswerte auf der Leninstraße sei die Bushaltestelle vor dem Hotel, wirkte im Vergleich mit der ermüdend pragmatischen Werbung des Westens überzeugend und frisch. Allerdings hatte das Hotel »Perle des Kaukasus« die Werbung gar nicht nötig. Es war, wie gesagt, das einzige Hotel in der Stadt, abgesehen von einer Pension namens »Kaukasus«. Weil die Pension »Kaukasus« aber dieselbe Adresse wie die »Perle des Kaukasus« hatte, konnte in diesem Fall von einer ernstzunehmenden Konkurrenz keine Rede sein. Wahrscheinlich bot die Pension nur einen anderen Blick aus dem Fenster.
Alles lief gut. Trotzdem glaubte ich bis zum letzten Tag nicht, dass tatsächlich etwas aus dem Film werden würde. Erst im Flugzeug, als Luis seine Handkamera herausholte und schon einmal übungshalber die Beine der Stewardess filmte, wurde mir bewusst, dass dieses kinematografische Experiment, der Film über meine kaukasische Schwiegermutter, kein Traum mehr war. Mehr noch: Die Dreharbeiten erwiesen sich als äußerst erholsam und machten uns alle froh. Der sonnige Kaukasus hatte anscheinend nur auf uns gewartet, um sich von seinen besten Seiten zu zeigen. Tagsüber drehten wir die Kaukasier bei der Arbeit, abends beim Feiern, und jeder Tag brachte uns neue Freunde, die uns einluden. Die Georgier Aiwas und Tawas gedachten gerade im Restaurant »Perle des Kaukasus« ihres vierzig Tage zuvor verstorbenen Großvaters, als das deutsche Fernsehteam dort aufkreuzte. Wir wurden sofort Freunde fürs Leben. Der Armenier Oganes, Direktor des wunderbaren Restaurants »Waldhäuschen«, verliebte sich in Tamara und wollte sie unbedingt gegen eines seiner Mädchen tauschen. Am Ende bot er uns sogar drei seiner Kellnerinnen zusammen für Tamara an. Der Dagestaner mit dem seltenen Namen Tarzan, den wir am Strand in Schelesnowodsk kennengelernt hatten, machte uns klar, dass unser Film über den Kaukasus niemals vollständig wäre, wenn wir nicht auch bei ihm zu Hause drehen würden.
»Ihr geht einfach den höchsten Berg hier am See hoch«, erklärte er uns, »dann den dritten Waldweg rechts und so lange geradeaus, bis es nicht mehr weitergeht. Dann durch die Büsche und dort …«
An dieser Stelle schloss Tarzan pathetisch die Augen und hielt seine rechte Hand vor den Mund wie Angelina Jolie, wenn sie Erschrecken mimt. Tarzan deutete damit jedoch ein Gefühl unaussprechlichen Glücks an, das ihm sein Zuhause schenkt:
»Und dort …«, fuhr er fort: »Der beste Wein, das beste Fleisch, die schönsten Frauen.«
Das alles sollten die Alltäglichkeiten sein, mit denen sich Tarzan umgab, aber das wunderte uns nicht. Wir wussten bereits: Die meisten Kaukasier wohnten im Paradies. Leider fanden wir nicht die Zeit, zu ihm hochzuklettern und seine Angaben auf ihren Wahrheitsgehalt zu prüfen. Auch ohne Tarzan hatten wir genug zu tun. Der Kaukasus bietet Stoff für tausend Filme, und wir drehten unermüdlich weiter. Unser Regie- und Kameramann Luis entwickelte einen unglaublichen Arbeitsstil: Er schaffte es, gleichzeitig die Kamera, das Licht und ein volles Schnapsglas zu halten. Luis gab nirgends auf. Er konnte wie ein echter Kaukasier bis zu acht Cognacs hintereinander kippen, ohne mit der Kamera zu wackeln, antwortete auf jede Frage und jede Einladung beinahe akzentfrei »Spassiba«
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