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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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letzten Sekunde –, wo ist Lottie? Hat sie jemand gesehen? Wollte sie nicht auch kommen?

    Ihre Freunde. Ihr Freundeskreis.

    Sie spricht auf eine Art von Florence Thiess, als wäre sie eine Art Ersatzmutter. Und sie erwähnt Tania. Und Tania hieß ebenfalls Kurella mit Nachnamen, sie war Heinis Schwester. Wer weiß, vielleicht hatten sie sich ja über Tania kennengelernt?

    Oder findet er sie womöglich gar selbst? Ist er es vielleicht, der sie aus der Badewanne zieht, sie zwingt, sich zu übergeben? Geliebte Loll, sagt er, geliebte Charlotte. So schlimm kann es gar nicht sein, als dass es keinen anderen Ausweg mehr gäbe –. So etwas darf dir niemand mehr antun. So etwas darfst du dir nie mehr antun.

    »Es ist schön«, hält sie fest, »dass ich das Schlimmste überstanden habe und jetzt alles so klar sehe.« Und dann beendet sie ihren Brief, plötzlich auf Französisch – wie eine kleine Umarmung, die sie ihrer Mutter sendet, wie ein kleines Mädchen:

    »Meine kleine Mama, ich umarme Dich aus ganzem Herzen und hoffe so, dass es Dir besser geht. Ich freue mich so, dass es Dich gibt, dass ich eine so fantastische Frau, wie Du es bist, zur Mutter habe. Florence schickt Dir jede Menge Grüße. Wir sprechen oft von Dir. Wie viele Fehler habe ich nur gemacht?
    Küsse Euch dreien,
    Eure Lolotte«

    Natürlich tut es ihrer Mutter leid, aber vor allem ist sie froh. Denn jetzt enthüllt sie ihrer Tochter, dass sie Alexander eigentlich nie habe leiden können, »sein Charakter eignet sich nicht, um Ehemann zu sein, und Du bist viel zu schwach, um so einen Schmarotzer und Egoisten unterstützen zu können.
    Enfin! Enfin!« , ruft sie aus. »Endlich! Ich konnte Dir ja keinen Rat geben, weil Du mich nicht zu Deiner Vertrauten gemacht hast, aber ich habe mir diese Scheidung schon im letzten Frühjahr gewünscht. [Stimmt ja, geht mir auf, da hat sie ja bei ihnen in Berlin gewohnt, um Otto beizustehen; da hat sie sicherlich gemerkt, wie unzulänglich ihre Beziehung war.] Aber so etwas muss man selbst entscheiden, weshalb ich auch nichts gesagt habe. Dass Du Dich jetzt um Alexander sorgst, ist vollkommen unnötig! Ich traue ihm nicht, er wird immer sehen, dass er zu seinem Recht kommt, und irgendjemand wird immer für ihn die Kastanien aus dem Feuer holen – na ja, er hat sicher auch seine guten Seiten – Friede seiner Asche! Paix à ses cendres! «
    Alexander erinnere sie an ihren ersten Verlobten: egoistisch und gefühlskalt. Andererseits hält sie auch mit ihrer Meinung über Heinrich Kurella nicht hinterm Berg – den sie wie gesagt im Frühjahr 1931 kennengelernt hatte. »Er hat zu viel Gefühl, wo Alexander keines hatte. Glaube ich«, fügte sie hinzu. »Ist er immer so nervös? Ich wünsche Euch jegliches Glück, das es gibt, das kann man in diesem jämmerlichen Leben wirklich gebrauchen, und ich hoffe sehr, dass Deine Gesundheit und Deine Nerven nicht allzu angegriffen sind. Zwei nervöse Menschen zusammen geben keine gute Mischung ab.«

    Vater Fritz kritisierte diesen Schritt mehr. Wie sollte es auch anders sein. Das sei natürlich etwas, was sie selbst entscheiden müsse. Aber es gehe um wichtige Dinge, sodass er ihr doch bestimmt einen Rat geben dürfe. Er habe Gelegenheit gehabt, mit »ihrem Pastor« darüber zu reden – womit nicht der falsche Pastor aus Radautz gemeint ist, denn jetzt, im August 1932, schreibt er nota bene schon aus Leipzig –, einer prächtigen Person, Pastor Leistner, und dieser habe Fritz geantwortet, dass er bemerkt hätte, wie in der letzten Zeit viele
junge, kräftige und lebenstaugliche Menschen (sic!) »ältere Mädchen« geheiratet hätten – und da habe er ihnen gesagt, »was seid ihr doch für Molluskes, dass ihr keinen Schneid mehr habt, aus eigener Kraft eine Familie zu gründen«. (Ältere Mädchen = Frauen, die ihren eigenen Lebensunterhalt bestreiten.)
    »Denn das Prinzip, mein Mädchen«, schreibt Vater Fritz geschwollen, »bzw. die Kardinalsfrage ist: ›Der Mann muss nun mal Mann sein, so wie es die ganze Geschichte hindurch gewesen und physiologisch gerechtfertigt und bedingt ist.‹«
    Ein solches Naturgesetz könne man nicht ignorieren. Ob es nun Alexander oder Kurella sei – wie auch immer müsse der männliche Part für die Versorgung des Haushaltes zuständig sein. Wo das nicht gehe oder er nicht dazu im Stande sei, ja dann Schluss damit!
    So schreibt Fritz, völlig ungerührt von der Tatsache, dass er derjenige war, der seinen »Haushalt« in den finanziellen

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