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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Ruin getrieben hatte, und dass es seine Emilie gewesen war, die die ganze Arbeit gemacht, ja, alle finanziellen Transaktionen getätigt hatte und die es nach ihrer Heirat überhaupt erst möglich gemacht hatte, dass er ein eigenes Auskommen fand. Ha! Was schreibt er noch?
    Dass Alexander und sie geheiratet hätten, bevor Alexander »Mann« gewesen sei und sie habe versorgen können, ja, ja – schrieb Fritz widersprüchlich –, sie hätte ja Arbeit, und sie hätten alle gedacht, dass auch Alexander mit der Zeit Arbeit finden würde. Wie auch immer, so sei die Liebe »eine sehr schöne Sache«, wenn es sich jedoch um eine so ernste Angelegenheit wie eine Heirat handele, müsse man sich das gründlich durch den Kopf gehen lassen – und schließlich gab sogar Vater Fritz zu, dass Alexander – der ja an und für sich ein Mann sei, viel zu bequem, ja viel zu verhätschelt sei. Das sei für ihn aber kein Hindernis, der Pastor und er wollten Alexander gerne für einen Vortrag in Leipzig gewinnen.

    Noch aber ist sie, Charlotte, keineswegs über das Schlimmste hinweg. Heini fuhr im April 1932 nach Moskau; sie glauben, dass er nur sechs Wochen fort sein würde, aber der Mensch denkt, und die Komintern lenkt, und sie wird immer wieder aufs Neue enttäuscht, heißt es doch erst, er soll im Juni kommen, und dann aber ganz sicher im August, und als er dann tatsächlich kommt, ist es nicht vor Ende September – während sie allein in Berlin umherstreift, wartet und wartet, abgesehen von diesem Monat im Frühsommer, als sie von der Arbeiterwohlfahrt wegen chronischer Bronchitis und »körperlicher Erschöpfung« zur Kur nach Utersum auf Föhr (in der Nähe von Sylt, an der Grenze zu Dänemark) geschickt wurde.
    Ihr Zusammenbruch war sicher auch der Vernachlässigung ihrer Gesundheit, zu viel unausgewogenem Essen, zu vielen Schnäpsen und vor allem zu vielen Zigaretten geschuldet. Ihre Lungen sahen nicht gut aus. Und da sie den schrecklichen Anblick von Ottos bleichem, abgezehrtem Gesicht noch vor Augen hatte, begrüßte sie die Gelegenheit, Berlin, der Hitze, der Politik – und den Männern – endlich für eine Weile den Rücken kehren zu können. Glaube ich.
    Erholung-Utersum
    Und plötzlich stoße ich wieder auf Fotos, Wörter, ja sogar auf die Schilderungen zweier Freundinnen, die über diesen Sommer berichten, über diese Wochen, in denen sie sich »erholte«. Dieses Wort, das mir Brief für Brief entgegenspringt: sich erholen . Das, was sie und ihre Freunde ununterbrochen versuchen zu tun, tun wollen, gehindert werden zu tun, tun müssen. Das, was auch ihre Mutter (und ihr Vater?) und vor allem ihre kleine Schwester Leni tun müssen – sich erholen. Sich erholen von den zahlreichen Schicksalsschlägen, von den Backpfeifen, die das Leben ausgeteilt hat, von den Krankheiten und den Strapazen, die sie unentwegt heim
suchen. Mit reichhaltiger Sahne, reichhaltigem Essen und Schlaf.

    Mit ihren neuen Freundinnen in Utersum.

    Ich blättere die kleinen Fotokarten durch – da steckt ihr magerer, aber bald schon gebräunter Körper in einem zweiteiligen Badeanzug; da in Herrenhemd, Schlips und karierten Hosen – die zu ihrem Anzug aus den späten Zwanzigerjahren gehören; ziemlich verwegene Kleidung, muss man sagen, sie mochte diesen leicht androgynen Stil, schnitt sich die Haare immer kürzer und wählte zunehmend strengere Kleidung; da trägt sie einen Trenchcoat (mit großem, breitem Revers; ebenfalls sehr geschmackvoll), da auf dem Foto, das sie mit ihren beiden Freundinnen zeigt, die die gleichen Mäntel anhaben.
    Und sie spielen Ball und schwimmen und machen Ausflüge und sitzen im Bewegungsbad – ja, alles ist wie eine einzige Klassenfahrt. Sie erholen sich. Sie – das waren Charlotte, Maria aus Hamburg und Mimi. Das weiß ich, weil
Maria und Mimi ihre Erinnerungen an diesen Sommer aufgeschrieben haben; sie schrieben sie auf, weil Lillemor hier in Schweden, die später Mamas beste Freundin werden sollte, mehr über ihre Freundin erfahren wollte.
    Und diese Erinnerungen sind schon beinahe peinlich – Verzeihung, aber das sind sie wirklich –, als würde man eine Heiligenlegende lesen. Dort, zwischen diesen ganzen Frauen, die das Weimar'sche Wohlfahrtssystem dorthin schickte, damit sie sich erholen konnten – abgemagerte, Tbc-geschwächte Frauen –, haben sie sich gefunden: Maria aus Hamburg, Mimi und Charlotte.

    Und da war sie .

    Charlotte war »immer und überall der strahlende Mittelpunkt und zog uns mit fast

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