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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Kommunistin, tatsächlich nebst Grafen und Baronen im Don gesessen?
    Aber als ich so zwischen Briefen, Papieren und Fotos herumwühle, zeigt sich, dass ich auch im Besitz so manch anderer Dokumente bin. Und diese Dokumente enthalten mehr als Erinnerung – ja, dokumentieren im Rückblick ein ganzes Leben, einen ganzen Krieg und verleihen diesem Bild von einem warmen, idyllischen, von Freundschaft geprägten Sommer 1932 gleichsam eine strengere Note. Mehr Schweiß und Ausdünstungen sozusagen. Eines der Fotos zeigt Charlotte braungebrannt in karierten Hosen mit einer gertenschlanken Taille, weißem Hemd und Schlips. Sie lacht schallend in die Kamera, und neben ihr steht eine andere Frau – und soweit ich weiß, handelt es sich dabei weder um Mimi noch um Maria. Es muss Westi sein, und Westi steht ebenfalls in Hosen, Schlips und Hemd da. Zwei provokante junge Frauen, die herausfordern und fast alles ausprobieren. Auch Westi schreibt Briefe. Anfang September, während sie wieder einmal auf Heinis Heimkehr wartet, schlitzt Charlotte einen Brief aus Westerland auf und liest:

    »Mein süßer, schwarzer Teufel,
    wie habe ich mich über Deinen entzückenden Brief gefreut, weshalb ich ihn auch sogleich beantworten will, weil ich sowieso gerade zu nichts anderem Lust habe. Es tut mir leid, dass Du so schlechter Stimmung bist. Wenn ich Dir doch nur irgendwie helfen könnte!«

    Und im Oktober trudelt wieder ein Brief von Westi ein, der diesmal etwas ungeschminkter ist – zwei junge Frauen, die
sich in diesem zunehmend düsteren Herbst 1932 gegenseitig schreiben.
    »Meine liebe Carlo« , beginnt sie diesen Brief, dem ein viel intimerer, streichelnden Ton anhaftet, sodass ich unwillkürlich denke – ach so, Mama, das also auch. Aber vielleicht war das ja einfach der gängige Ton von Frau zu Frau? Doch wer weiß, schließlich gehören sie ja beide zu den »neuen Frauen« der Weimarer Republik – nichts Menschliches war ihnen fremd, so sollte es jedenfalls sein. » Kind «, schreibt diese Westi, die ein wenig damit angibt, dass ein verheirateter Mann sie verwöhnt und dass sie zu Hause um Gottes willen nichts davon erfahren dürften: » Kind , könnte ich doch bei Dir sein und Dich ganz zart lieben. Das würde Dir doch bestimmt gefallen? Ich hab' eine solche Sehnsucht nach Dir!«
    »Mein Liebling«, schreibt sie und »liebst Du mich noch«, und » P . S .: Ich darf ja nicht so schreiben, wie ich es gerne tun würde, oder?«
    Scheidung
    Überhaupt ist es so, als ob Charlottes – Mamas – Leben sich mir mehr öffnet; an die Stelle des Ungreifbaren, Rätselhaften rücken all diese vertraulichen Briefe, die über bedeutende Jahrzehnte hinweg aufgehoben wurden. Weshalb sind gerade diese Briefe vom Herbst 1932 noch vorhanden? Warum hat sie ausgerechnet diese Briefe ins Exil nach Zürich, Prag, Moskau, Kopenhagen, Paris und Stavanger mitgenommen, bis sie in einer der grünen Kisten unter meinem Bett landeten, die Mama gekauft hatte, damit wir unsere Sachen in Ordnung hielten?
    Doch dann wird mir klar, dass mir dieses Guckloch in ihr Leben im Herbst 1932 nur deshalb eröffnet wird, weil sie gerade diese Briefe nicht mitgenommen hatte. Als sie flüchtete, blieben sie in Berlin zurück, bis Fritz sie im Frühjahr 1933 dort holte und sie für sie daheim in Leipzig aufbewahrte;
nur deshalb existieren sie noch – weil Leni sie nicht weggeworfen hat? Ob sie sie gelesen hat? Ob sie sie während des Krieges, als sie einsam in der düsteren Wohnung in der Reginenstraße gesessen hat, schuldbewusst gelesen hat? Anderer Leute Briefe liest man nicht! Aber wenn es niemand sieht? Mama und Papa sind ja längst tot, wie, ja wie, hätte sie da an sich halten können?

    Unter diesen Briefen sind auch Stenbocks Briefe; ein kleiner Stoß, geschrieben zwischen August und Oktober 1932.
    Es dauerte eine Weile, bis er begriff, dass sie es mit der Scheidung tatsächlich ernst meinte. Und als ich so seine Briefe studiere, die im August vor Arroganz nur so strotzen – aber selbstverständlich gehören wir zusammen! –, die im Oktober in seinen letzten Briefen triefendem Selbstmitleid weicht, geht es mir wie Emilie: Ha! Da hast du's! Was für ein Typ! Man höre nur:
    »Mein liebes, liebes Lottilein«, schreibt er am 8. August, gemütlich neben einer Charlott II auf dem Sofa sitzend, einer Frau mit zwei Kindern, mit der er schon eine Zeit lang zu verkehren scheint – ja, es sei wirklich nett hier und hier könne er sich ja auch erholen – und, ja, er

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