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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Leihbibliothek aufgebaut hatte, Ausstellungen arrangiert und Einblattkataloge herausgegeben hatte, ja, diesem Buchhändler schwindet immer mehr der Absatz.
    Die Geschäfte laufen miserabel. Schon im Frühjahr 1931 war die Lage katastrophal gewesen – Fritz und Leni hatten es sich ja noch nicht einmal leisten können, zu Ottos Beerdigung nach Berlin zu fahren –, und sie verschlimmerte sich zusehends. Emilie, die sich nichts sehnlicher wünscht, als
die Grabstätte auf dem Berliner Stadtfriedhof (Feld 5, Reihe 30, Grabstätte 6) zu besuchen, muss im Oktober ihre Reisepläne zurückstellen: Es ist kein Geld da.
    Wieso eigentlich? Die Deutschen stellten doch in Rumänien nach wie vor eine der einflussreichen Volksgruppen dar, dachte ich zumindest; das Rumänien, aus dem nach dem Ersten Weltkrieg eine konstitutionelle, liberale Demokratie unter dem Monarchen Carol II . geworden war. Die Bukowinadeutschen konnten eine eigene deutsche Partei, die Deutsche Partei in Rumänien, wählen, die versprach, ihre Interessen zu wahren: kulturelle, sprachliche (z.B. Schulunterricht auf Deutsch) und wirtschaftliche Interessen. (Es gab auch Parteien für die anderen Volksgruppen, beispielsweise für die Juden.)
    Aber immer infektiöser griffen zu jener Zeit in der Bukowina nationalistische, faschistische Ideen um sich, und die Atmosphäre wurde zunehmend von den antisemitischen Tönen, die angeschlagen wurden, durchdrungen. Vor allem die »Eiserne Garde« verbreitete die Infektion. Jene Eiserne Garde – die ursprünglich »Legion Erzengel Michael« hieß, der rumänische Ausdruck für die faschistische Seuche jener Tage – wurde im Sommer 1927 von Corneliu Zelea Codreanu gegründet. Wie ähnliche Bewegungen in Deutschland oder Italien war sie ein Sammelbecken für all diejenigen, die wildromantischen Jungmännerträumen von Geheimbünden und Abenteuerleben nachhingen. Eine Variation ein und desselben männlich besetzten Themas, das sich auf diesen Nenner bringen lässt: Militärisch, wildromantisch, gewaltbereit und von mythischer Geschichtsauffassung.
    Hier in Rumänien trugen die »Eingeweihten« grüne Uniformen und grüßten sich nach Römerart. Ihr Symbol war ein Gitterkreuz, das Kreuz des Erzengels Michael, das durch die Dörfer und Städte getragen wurde, und ihre Botschaft lässt sich kurzerhand mit anti zusammenfassen: antisemi
tisch, antikommunistisch, antidemokratisch, antimodernistisch – anti-Freud, anti-Homosexualität etc. Hier herrschte Sauberkeit. Was diese rumänische Variante von den italienischen Faschisten oder den deutschen Nationalsozialisten unterschied, war ihre starke Religiosität und dass ihre Anhänger hauptsächlich unter den Bauern und Studenten zu finden waren – nicht wie in Deutschland bei ehemaligen Soldaten. Etwas über zehn Jahre dauerte es, und die Eiserne Garde hatte gesiegt. 1938 wurde aus Rumänien eine Diktatur mit König Carol II . als Diktator; er schaffte das Parlament ab und regierte mit seiner Kamarilla.
    Auch die Deutsche Partei in Rumänien, die seit jeher mehr die konservativ-wohlhabenden als die armen Deutschen repräsentiert hatte, ließ sich davon anstecken. Um 1930 schlug das Parteiorgan Siebenbürgisches Deutsches Tageblatt erste nazistische Töne an, und 1933 gründete ein Fritz Fabritius eine eigene kleine Nazipartei samt Hakenkreuz und dem ganzen Drumherum.
    Aber trotzdem – es hätte doch eine Basis dafür geben müssen, in dieser deutschen Buchzentrale das eine oder andere Buch an den Mann zu bringen? Mein Kampf zum Beispiel. Müsste doch weggegangen sein wie warme Semmeln.
    Aber Fritz verabscheute den Nationalsozialismus – auch wenn er von Rechts kam. Als er – um den Ereignissen ein wenig vorzugreifen – in jenem verhängnisvollen Frühling 1933 den offiziell gesuchten Alexander Stenbock, den roten Grafen, in seiner Wohnung in der Reginenstraße 14 in Leipzig beherbergte und sie am 1. Mai in die Stadt gingen (ein Tag, den Hitler für sich vereinnahmt hatte) und über den Marktplatz spazierten, auf dem in dichten Reihen die Hakenkreuzflaggen geschwenkt wurden, welche die Kolonnen marschierender Männer einrahmten – Polizisten in dunkelblauer Uniform zu Pferde, schwarze SS - und braune SA -Männer –, applaudierten Fritz und ein paar andere brave Bürger
demonstrativ, als die Stahlhelme in ihren feldgrauen Uniformen vorbeimarschierten – die jetzt die Deutschnationalen, Nicht-Nazis repräsentierten. Sie seien ganz nach Fritz' Geschmack gewesen, wie der Graf zu

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