Meine Mutter, die Gräfin
berichten weiß. Unter den Deutschnationalen hätte es viele gegeben, die Hitler verabscheuten, weil er für sie – einschließlich Fritz – Deutschland, dem wahren Deutschland, den tödlichen Stoß versetzt hatte. Stahlhelm wurde 1935 ebenfalls aufgelöst.
Fritz gehörte mit anderen Worten zu der großen Menge derer, die es mit ihrer Kritik an der Demokratie und dem ihnen zutiefst eingeimpften Militarismus Männern wie Hitler erst ermöglichten, an die Macht zu kommen – sofern ich Stenbocks Geschichte über den Buchhändler aus Leipzig denn Glauben schenken kann. Wenn Fritz sich aber zu den Totengräbern der Weimarer Republik gesellte, was hielt er dann von der Neigung seiner Tochter zum Kommunismus? Oder hat er gar nichts davon gewusst? Und weshalb hat er Alexander so grenzenlos bewundert? Hat er Nachsicht mit der politischen Einstellung des Grafen geübt – sie vielleicht für eine Marotte einer exzentrischen Oberschicht gehalten, die sich wer weiß was für Vergnügungen erlauben konnte? Oder hat er versucht, Thomas Mann nachzueifern, der fand, dass an Politik nichts war, mit dem sich Schöngeistige und Intellektuelle, ja richtige Männer abgaben? (Ja, ich weiß, dass Mann kurz nach dem Krieg Abbitte leistete.)
Aber Fritz war zumindest von Stenbocks Deutschlandbuch sehr angetan. Nicht nur gut geschrieben – auch der Inhalt sei lobenswert. Allerdings hatte Deutschland von unten ja sogar nationalsozialistische Rezensenten für sich eingenommen.
Ich weiß also nicht, ob die Geschäfte in Radautz deshalb so schlecht liefen, weil Fritz es unterließ, gewisse Bücher in sein Sortiment aufzunehmen, oder weil der rumänische Nationalismus immer mehr zunahm, oder weil die wirtschaft
lichen Voraussetzungen so miserabel waren, dass man sich einen Luxus wie Bücher nicht mehr geleistet hat. An Geld hat es ihnen auf jeden Fall gemangelt. Reisepläne mussten begraben werden. Und es regnete. Das war ein schwerer Herbst, dieser Herbst 1931, in Berlin wie in Radautz. Und es sollte noch schlimmer kommen.
»Diese Sache«
So ist das überhaupt nicht gewesen! Wie kannst du es wagen, so etwas zu behaupten?
Wie böse Feen scharen sie sich um mein Bett, Emilie ist mir am nächsten, aus ihrem Knoten auf dem Hinterkopf haben sich weiße Strähnen gelöst. Mama sagt nicht viel, richtiger gesagt, gar nichts. Aber sie sieht mich mit ihren graublauen Augen an – es ist kein liebevoller Blick, sondern ein nahezu Wittgenstein'scher: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Und dann Leni, sie verschwindet fast in den Schatten, sie versucht, etwas zu sagen. Es ist kaum zu verstehen. Nicht so, sagt sie vielleicht. Nicht so. Dann verstummt sie, denn dort ist er, nimmt im Türrahmen überdimensionale Proportionen an und starrt mich mit seinen großen, leicht hervorstehenden Augen an. Du, höre ich auf Deutsch, Du, und dann haben die Feen sich verflüchtigt.
Wie war das damals, wie war das damals ? Der Abschrift eines Briefes von Emilie an Charlotte vom 26. November 1931 zufolge war es so:
»Was geschieht uns? Das Furchtbarste, Verabscheuungswürdigste der Welt. Papa ist verhaftet worden und der Feind bringt immerzu neue Anschuldigungen vor, die eine fürchterlicher als die andere.
Papa ist im Gefängnis misshandelt worden, er muss mit 18 anderen in einem kleinen Raum auf dem nackten Bo
den schlafen, inzwischen mit sechs anderen, und man hat ihm alles abgenommen, was er am Leibe getragen hat. Und so geht das jetzt schon seit neun Tagen.
Obwohl Papa seine Unschuld erklärt hat, muss er das Land womöglich binnen 24 Stunden nach der Urteilsverkündung verlassen, während wir vielleicht hier bleiben müssen, um alles zu verkaufen, und ihn erst später wiedersehen können. Aber wie soll das bloß werden – ohne Haus und Heim, ohne Lebensunterhalt in Deutschland, ohne Geld! Es gibt Tage, an denen ich nicht mehr als 5 oder 25 Lei einnehme, und allein die Essenswaren kosten doch schon 120.
Das alles ist zu schmerzvoll, um es zu ertragen, zu bitter, ja, schrecklicher als alles, was ich bisher zu bewältigen hatte; dabei hab' ich doch schon meinen Teil der Last zu tragen gehabt – einen großen noch dazu.
Wir hatten so gehofft, den Winter hier in Ruhe und Frieden überstehen zu können; ich hatte schon für alles gesorgt. Noch nie waren die Vorräte so vollständig, das Haus noch nie so einladend, und jetzt müssen wir womöglich bald alles aufgeben und uns in Deutschland zu den Bettlern
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