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Meine Mutter, die Gräfin

Meine Mutter, die Gräfin

Titel: Meine Mutter, die Gräfin Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Yvonne Hirdman
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Regierung die Mehrheit und der konservative von Papen wurde vom alten Hindenburg zum Reichskanzler ernannt, der selbst einen Monat später als
Ersatzkaiser wiedergewählt wurde – mit der Unterstützung der Sozialdemokraten. Der Grund dafür lag auf der Hand: Sie waren der Ansicht, dass Hindenburg der Einzige war, der eine Machtergreifung Hitlers verhindern konnte. 19 Millionen Stimmen erhielt der mittlerweile 85-jährige Hindenburg. Hitler landete mit gut 13 Millionen Stimmen auf Platz zwei, weit vor dem Kandidaten der Kommunisten für den Posten – Ernst Thälmann, der 3,7 Millionen Stimmen einheimsen konnte. Und jetzt sollten bis zur Machtübernahme der Nazis im Januar 1933 nur noch acht Monate vergehen.
    Deutschland im Herbst
    Und mittendrin in diesem ganzen Tumult lebt sie, Lottie, Gräfin Stenbock, in der Eisenacher Straße. Das Leben ist schließlich immer noch da, wie der Boden, wie eine Bühne, das Leben mit all seinen Sekunden, seinen Trivialitäten – Laufmaschen in den Strümpfen, die es zu stopfen gilt, Schuhe, die besohlt werden müssen ( so teuer! ), Unterhosen müssen gewaschen werden, und ja, essen muss der Mensch schließlich auch, aber vor allem rauchen und Kaffee trinken und gerne auch noch einen Schnaps, einen Wodka, und dann dieses frühe Aufstehen, wenn der Wecker klingelt, keine Zeit fürs Frühstück, auf, los geht's. In diesen Zeiten arbeitslos zu werden käme einer Katastrophe gleich. Und das schwebte wie ein Damoklesschwert über ihr, denn ihre Stelle bei Philips Glühlampen stand auf dem Spiel, als öffentlich bekannt wurde, dass ihr Gatte Alexander Stenbock sich auf die Seite der Kommunisten gestellt hatte. Als im Juli 1931 die erste Nummer des Aufbruch -Kampfblattes erschien, war sie in einer üblen Lage. Die niederländische Philips-Leitung forderte ihre Entlassung

    »… mit der Begründung, man könnte mich, als Frau eines Kommunisten, nicht in einer so verantwortungsvollen Stel
lung belassen, da ich leicht Patent- und Fabriksgeheimnisse der Partei verraten könnte. Da der Berliner Direktor für mich intervenierte, wurde ich mit gleichzeitiger Gehaltskürzung ›nur‹ in eine andere Abteilung versetzt.«

    Man merkt dieser Kurzbiografie (die sie im Herbst 1934 für die sowjetischen Behörden verfasste) einen Funken Stolz an – seht her, ich bin »jemand«! Statt entlassen zu werden, wurde sie Privatsekretärin des Chefs und von der Patentabteilung in die Presseabteilung versetzt, wo sie Übersichten über die deutsche Innenpolitik und die Entwicklungen in der Industrie erstellen sollte.
    Das stellte gegenüber ihrer alten Stelle in der Patentabteilung eine Verbesserung dar. Das würde sie sehr interessieren, schrieb sie nach Hause, und sei auch eine Aufgabe, die sie über das, was dort auf der politischen Bühne geschah, auf dem Laufenden hielte – jede Woche auszuwerten, was im Reich vor sich ging. Für sie, die auf dem besten Wege war, eine richtige Kommunistin zu werden, sei das schließlich ein gefundenes Fressen – auch noch dafür bezahlt zu werden, sich über den neuesten Stand der Dinge zu informieren.
    Als wenn diese fordernde Arbeit tagsüber nicht schon gereicht hätte, arbeitete sie abends auch noch als Frank Thiess' Sekretärin – »so amüsant!«, schreibt sie ihren Eltern. Ein Grund dafür könnte gewesen sein, dass Stenbocks sich auf diese Weise – durch Lotties Arbeitskraft – für die Finanzspritzen, die Thiess ihnen ständig gegeben zu haben schien, erkenntlich zeigen wollten, denke ich gnädig. Über einen anderen Grund ließe sich auch spekulieren. Aber was weiß ich. Vergnüglich war es allemal. Wie das Mal, bei dem die »Liebe Lolo« eine brennende Zigarette – diese Qualmerei!, die von dieser Zeit sogar noch befördert wurde – ewig diese glühende Zigarette zwischen den Fingern, die nach Nikotin rochen und ganz dunkelgelb waren; daran erinnere ich mich noch –,
wie sie also diese Zigarette in den Papierkorb dieses großen Schriftstellers geworfen, ihn angesengt und einen neuen gekauft hatte, so einen schönen Papierkorb! Jetzt könne Frank sich nicht mehr über ihr Paffen beschweren:

    »Während ich dies schreibe, steht er etwa 1,14 Meter von mir entfernt, lächelt und sagt: Er wird mich stets an Dich erinnern, Charlotte. Aha. Ein Kuppler ist er, Dein Papierkorb mit seinem Bild von zwei schönen Mädchen, einem jungen hübschen Mann und Rosen! Ach, Du bist zwar ein Sorgenkind, Charlotte, Dolly, Lollo, aber wir haben Dich trotzdem

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