Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
Kinder. In Geschichte und Biologie starrte Sunya Daniel an, und ich hatte Angst, dass sie irgendwas zu ihm sagen und alles noch schlimmer machen würde. Aber anscheinend wusste sie, was ich dachte, und ließ ihn in Ruhe. In der Mittagspause verdrückten wir uns wieder in den Sportschuppen.
Ich mag den Schuppen gerne. Er ist ein gutes Versteck, und es ist so schön still und kühl da. Wir setzten uns auf eine Matte und teilten uns die Sandwiches, und ich erzählte ihr von Daniels Überfall. Sunya biss sich auf die Lippe und schüttelte den Kopf, und bei den schlimmsten Stellen fluchte sie. Das gibt Rache , sagte sie dann, aber ich antwortete Ich würd das alles lieber vergessen , und sie sagte Aber er hat Arschloch zu dir gesagt und dich verprügelt. Wir müssen was tun . Ich hatte schon Angst, dass sie meinte, wir sollten es den Lehrern sagen, aber dann meinte sie Meine Brüder werden den in die Mangel nehmen . Sie weiß auch, dass Lehrer alles nur schlimmer machen. Ich stellte mir vor, wie Daniel von einem größeren Jungen verhauen wurde, und fand das gut und blöd zugleich. Ich wollte schon, dass er Prügel kriegte, aber ich wollte mutig genug sein, um das selbst zu schaffen.
Eine Weile blieben wir beide stumm, und ich aß die Rinde von meinem Brot. Sunya schaute auf mein Spider-Man-Shirt. Sie berührte es und sah ganz nachdenklich dabei aus, und ich wusste schon, was sie fragen wollte. Und diesmal waren die Wörter Mum, Affäre, Dad und Alkohol nicht zu groß, um aus meinem Mund zu kommen.
Ich erzählte ihr fast alles, und sie ließ mich reden. Sie hörte nur zu und nickte. Ich erzählte von Dads Flaschen im Mülleimer und von dem Streit, nach dem Mum wegging, um bei Nigel zu leben. Ich erzählte, dass ich gedacht hatte, Mum hätte meinen Geburtstag vergessen. Und wie froh ich gewesen war, als zwei Tage später ihr Geschenk ankam. Ich schrieb Mums Worte aus ihrem PS auf den staubigen Boden, und Sunya meinte, meine Mum würde bestimmt bald zu Besuch kommen. Und als ich erklärte, warum ich das T-Shirt nicht ausziehen konnte, bis Mum mich darin gesehen hatte, sagte Sunya, sie könne das gut verstehen.
Ich hatte die ganze Zeit auf das Viereck aus Licht an der Tür gestarrt, während ich erzählte. Aber als Sunya jetzt diese Worte sagte, wandte ich mich zu ihr. Sie lächelte, und ich lächelte auch, und unsere Hände drückten sich aneinander, und in meinem Arm schien ein Feuerwerk zu explodieren. Es fing an zu regnen, aber das Pochen meines Herzens war lauter als das Trommeln der Tropfen auf dem Dach. Ich wollte mir Sunyas Sommersprosse genauer anschauen. Deshalb beugte ich mich ein bisschen vor und starrte auf das braune Fleckchen über ihrer Lippe. Das ist Aberglaube , sagte sie, und ihre Stimme klang ein bisschen höher als sonst. Ich beugte mich noch weiter vor. Ihr Atem kitzelte in meinem Gesicht. Aberglaube , flüsterte sie. Du bist abergläubisch . Meine Nase streifte beinahe die drei glänzenden Haare, als ich fragte Wieso, und Sunya antwortete Wie diese Fußballer, die ein Tor schießen und dann immer dieselbe verschwitzte Unterhose anziehen müssen, weil sie ihnen Glück gebracht hat . Darüber mussten wir beide kichern, und die Sommersprosse verschwand, als Sunya grinste.
Plötzlich fand ich, dass unsere Gesichter zu dicht beieinander waren, und ich stand auf und schaute mich nach einem Fußball um. Ich fand einen in der Ecke und kickte ein bisschen damit. Sunya sagte Erzähl mir was über deine Schwester , und ich kickte den Ball so heftig, dass er gegen die Tür knallte. Sie hat pinke Haare , sagte ich, und Sunya sagte Ich meine die andere Schwester .
Sunya ist Muslimin, und Muslime haben meine Schwester getötet. Ich wusste nicht, was ich sagen sollte. Ich überlegte, ob ich eine Lüge erfinden sollte, aber das fand ich nicht gut, und ich wünschte mir, Rose wäre einfach ertrunken oder verbrannt. Das hätte ich leichter erklären können. Und ich fing an zu lachen, weil das ein echt seltsamer Wunsch war, und Sunya lachte auch, und dann konnten wir nicht mehr aufhören.
Und in dem ganzen Lachen gelang es mir, diese fünf Worte auszusprechen. Muslime haben meine Schwester getötet . Und Sunya sah nicht schockiert aus, und sie sagte nicht Das tut mir so leid und guckte besonders traurig wie alle anderen. Sie sagte Das ist nicht witzig, das ist gar nicht witzig , lachte aber noch heftiger, so dass Tränen über ihre Wangen liefen und sie sich den Bauch halten musste. Und ich hörte auch nicht auf
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