Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
Leben verändern , und sie sagte Hör auf mit dem Scheiß und Verzieh dich .
Ich sah Sunya, bevor sie mich gesehen hatte. Sie rannte den Abhang runter aufs Postamt zu. Ihr Hijab flatterte hinter ihr her, und sie sah wirklich wie eine Superheldin aus, die durch die Luft fliegt. Als ich Sunya letzten Freitag in Mathe fragte, ob sie den Hijab jemals abnimmt, prustete sie vor Lachen. Ich trage ihn nur außerhalb vom Haus oder wenn Besuch kommt . Ich fragte Und wieso musst du deine Haare verstecken , und sie antwortete Das steht so im Koran . Und ich fragte Was ist der Koran , und sie antwortete So was wie die Bibel . So ist das also mit Christen und Muslimen – beide haben einen Gott und ein Buch, nur mit unterschiedlichen Namen.
Sunya lief auf mich zu, packte mich am Arm und zog mich den Hügel hoch. Dabei redete sie wie ein Wasserfall. Ich war scheußlich nervös. Ich war noch nie bei Muslimen zuhause gewesen und fürchtete, dass es da nach Curry riechen würde, wie Dad immer behauptete. Oder dass ihre Eltern die ganze Zeit beten und sich in einer unverständlichen Sprache unterhalten würden. Und ich hatte Angst, dass Sunyas Dad in seinem Schlafzimmer Bomben bastelte. Dad sagt, das machen alle Muslime. Es würde mich zwar wundern, wenn Sunyas Vater Terrorist wäre, aber Dad meint eben, man könne nie wissen und selbst die harmlos aussehendsten Männer könnten Sprengstoff unter ihrem Turban haben.
Als wir ins Haus gingen, kam ein Hund angeflitzt und sprang an Sunya hoch. Es war ein schwarzweißer Hund mit langen Ohren und nasser Schnauze, und er wedelte wie verrückt mit seinem kurzen Schwanz. Sammy sah aus wie ein englischer Hund, nicht wie ein muslimischer, und ich seufzte erleichtert. Ein ganz normales Haustier. Und auch alles andere war normal. Bei Sunya zuhause sah es ganz ähnlich aus wie bei uns. Im Wohnzimmer sah ich ein beiges Sofa, einen bunten Teppich und ein Kaminsims, auf dem normale Sachen standen – Fotos und Kerzen und Blumenvasen. Keine Schwestern. Das einzig Muslimische in dem Zimmer war ein Bild von Gebäuden mit Kuppeln und Türmchen. Sunya sagte, das sei eine heilige Stadt namens Mekka, und ich lachte, weil es in unserer Straße in London einen Spielsalon gegeben hatte, der so hieß.
Die Küche fand ich am interessantesten. Ich hatte fremdländische Früchte in Schalen und würzige Gerüche erwartet. Aber es sah da genauso aus wie in unserer Küche, nur schöner, weil in den Regalen nirgendwo Alkoholflaschen standen. Und der Abfalleimer roch nur nach Abfall.
Sunyas Mum machte uns Schoko-Milchshakes und gab uns Spiralstrohhalme. Sie trug ein blaues Kopftuch und hatte dieselben glitzernden Augen wie Sunya, aber hellere Haut, und ihr Gesicht war langsamer. Ernster. Sunyas Gesicht ist schnell. Es verändert sich zehnmal pro Minute. Ihre Augen werden groß und klein, ihre Sommersprosse hüpft, und ihre Augenbrauen zappeln, wenn sie spricht. Sunyas Mum ist ruhig und lieb und klug. Sie spricht mit starkem Akzent, was Sunya nicht tut. Wenn Sunyas Mum meinen Namen sagt, hört er sich ganz fremd an. Sie kommt mir nicht vor wie eine Frau, die einen Terroristen heiraten würde, aber man kann nie wissen.
Die Milchshakes tranken wir in Sunyas Zimmer. Wir hatten Durst, weil wir auf dem Bett herumgesprungen und versucht hatten, möglichst lang in der Luft zu bleiben. Weil ich Spider-Man war, musste ich so lange wie möglich die Decke berühren. Und weil Sunya Girl M ist, musste sie ihren Hijab flattern lassen und möglichst lange über dem Teppich bleiben. Am Ende stand es unentschieden.
Eine dicke Haarsträhne hatte sich aus Sunyas rosa Kopftuch gelöst. Die Haare glänzten und sahen noch viel schöner aus als die Haare in diesen Shampoo-Werbungen, in denen die Frauen den Kopf so hin und her drehen. Ich sagte, es sei total schade, dass sie wegen dem Koran ihre Haare verstecken müsste, als seien sie hässlich. Sunya schlürfte den letzten Schluck Milchshake und sagte Ich bedecke meine Haare nicht, weil sie hässlich sind, sondern weil sie schön sind. Das fand ich so verwirrend, dass ich nichts mehr sagte und in die Milch pustete, um eine Schokoblase zu machen. Sunya stellte ihr Glas ab und sagte Mum hebt ihre Haare für Dad auf. Kein anderer Mann kann sie sehen. Sie sind etwas ganz Besonderes. Ich fragte Wie ein Geschenk , und Sunya sagte Ja, genau . Ich dachte mir, wie viel besser alles wäre, wenn Mum ihre Haare für Dad aufgehoben hätte, anstatt sie Nigel zu zeigen, und sagte Das kann ich gut
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