Meine Schwester lebt auf dem Kaminsims: Roman (German Edition)
Gesicht nicht zu bewegen, weil es so wehtat. Dad kümmert sich schon seit Monaten nicht mehr um uns. Er kocht uns nicht mal Tee, er fragt nicht, wie unser Tag war, und er hat auch viel zu lange nicht mit uns geschimpft, um jetzt plötzlich damit anzufangen. Jas dachte sich anscheinend dasselbe, denn Dad sagte jetzt Hör auf so blöd zu grinsen . Darauf schrie Jas Du kannst mir keinen Hausarrest geben , und Dad gab zurück Wenn du dich wie ein Kind benimmst, werd ich dich auch so behandeln . Darauf sagte Jas Ich bin erwachsener als du , und Dad gab zurück Das ist lächerlich . Ich flüsterte Roger zu Nee, sie hat recht . Roger schnurrte, und seine Schnurrhaare kitzelten mich an der Lippe. Er hatte sich neben mir eingerollt und fühlte sich wie eine Wärmflasche mit Fell an. Jetzt herrschte unten Stille, weil Jas das, was sie eigentlich sagen wollte, nicht sagen konnte.
Als Luke Branston vier Tage lang mein Freund war, schauten wir uns einen alten Horrorfilm an, Candymans Fluch . Da geht es um einen Mann, der einen Haken als Hand hat. Der Mann erscheint, wenn man fünfmal seinen Namen sagt und dabei in einen Spiegel schaut. Seit ich den Film gesehen habe, will ich das mal ausprobieren, und manchmal sage ich beim Zähneputzen Candyman Candyman Candyman Candyman Candy…, aber dann höre ich doch immer wieder damit auf.
So ist es auch mit Dad. Keiner von uns hat je über sein Trinken gesprochen. Jas hat mit mir nicht darüber geredet und ich nicht mit ihr und keiner von uns beiden mit Dad. Es ist zu unheimlich. Ich weiß einfach nicht, was passieren würde, wenn wir DU BIST BETRUNKEN sagen würden.
Ich wünschte mir beinahe, Jas würde es Dad jetzt ins Gesicht schreien. Roger wurde es zu warm, und er sprang aus dem Bett. Die Kirchturmuhr schlug, und ich stellte mir vor, wie ein kleiner alter Mann oben im Turm unter den Sternen an einem Seil zog. Dann wurde es wieder still. Ich biss mir auf die Lippe und spürte dabei eine Zahnlücke. Daniel hatte mir den letzten Milchzahn ausgeschlagen.
Dann hörte ich Schritte auf der Treppe und war erleichtert und enttäuscht zugleich. Die Tür ging auf, und Jas kam rein. Sie ließ ihre Tasche fallen, hockte sich auf mein Bett und fing an zu weinen. Die Tränen liefen wie kleine schwarze Bäche über ihre Wangen. Ihr Rücken fühlte sich knochig an, als ich sie umarmte. Ich halte das nicht mehr aus , flüsterte sie, und mir wurde ganz übel. Das hatte Mum auch gesagt, bevor sie wegging. Ich hielt Jas’ Hand fest und dachte daran, wie der Drachen am Strand von St. Bees gezerrt und gezappelt hatte, um freizukommen. Ich verschränkte meine Finger mit Jas’ Fingern, um sie noch fester zu halten. Alles wird besser werden , sagte ich, und Jas sagte Wie soll denn das gehen , und ich antwortete Keine Sorge, ich habe einen Plan .
Ich wollte ihr gerade von der Talentshow erzählen, aber sie griff nach ihrer Tasche und machte sie auf. Das ist für dich , sagte sie und reichte mir eine Dose. Für dein T-Shirt. Damit du es nicht ausziehen musst . Deospray. Ich dachte an den Jungen beim Fußballspiel, der wie ein Mann gerochen hatte, und besprühte mich überall damit. Besser , fragte ich Jas. Viel besser , sagte sie und lächelte ein bisschen. Du hast angefangen zu stinken .
Als Mrs. Farmer ins Klassenzimmer kam, setzte sie als Erstes die Engel von den Fußballern auf höhere Wolken. Weil der Engel von Daniel im Papiermüll gelandet war, schrieb sie seinen Namen auf einen Zettel und klebte den auf Wolke eins. Sunya schaute mich von der Seite an, aber ich reagierte nicht. Ich wollte Daniel nicht wütend machen.
Mein Engel sprang zwei Wolken höher, weil ich das Siegtor geschossen hatte, und saß jetzt auf Wolke drei. Steht auf, Jungs , sagte Mrs. Farmer, und als wir standen, sagte sie Ihr seid jetzt alle ein Stück näher am Himmel , und die anderen klatschten. Dann warf sie mir einen komischen Blick zu, schüttelte aber den Kopf und sagte nichts. Mein Auge ist blau und grün und immer noch geschwollen.
Als Jas beim Frühstück gefragt hatte Was ist denn mit deinem Auge passiert , hatte ich ihr geantwortet Hab beim Spiel einen Ellbogen abgekriegt . Ich wollte ihr die Sache mit Daniel erzählen, aber sie sah immer noch traurig aus, und ich dachte mir, dass sie schon genug Sorgen hatte. Ich fragte mich, ob Dad nach meinem Tor fragen würde, aber er hörte Radio. Jas schaute von ihrem Laptop auf. Mir geht’s gar nicht gut , murmelte sie und verzog sich wieder ins Bett. Als ich rausging, sah
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