Meine Schwester und andere Katastrophen
ich mich ebenfalls für dich entschuldigen will, denn ich habe weiß Gott irgendwo einen gewaltigen Fehler gemacht. Dann rufst du den Anwalt an und sagst ihm, dass du deine Meinung geändert hast. Du lässt ihn einen Brief schreiben, dass du auf alle Ansprüche verzichtest, und dann gibst du uns und Cassie jeweils eine Kopie.« Sie drehte sich zu mir um. »Bist du damit zufrieden, Elizabeth?«
Ich grinste George an, der zusammengesunken auf seinem Stuhl hockte. Dann nickte ich und sagte: »Sehr.«
KAPITEL 37
Auf der Heimfahrt saß ich mit einem dämlichen Grinsen im Bus, was zur Folge hatte, dass ich die Sitzbank für mich allein hatte. George hatte wirklich Nerven. Tim hätte sich mir gegenüber nie so aufgeführt, selbst wenn die Dinge bei uns noch so schlecht gestanden hätten.
Und wie schlecht standen sie wirklich ? Ich hatte zugelassen, dass unsere Liebe ein Scherbenhaufen war, weil ich so wütend auf mein Leben war, dass ich es am liebsten ausgelöscht hätte. Die Sache war, dass ich auch mein Notebook liebend gern aus dem Fenster werfen würde, wenn es zu spinnen anfing, aber doch vernünftig genug war, es nicht zu tun. Warum konnte ich dieses Prinzip nicht auf meine Beziehung anwenden, die doch viel wertvoller war als mein Notebook?
Tim wusste alles über mich. Er wusste, dass ich beim Schlafen gern einen Knöchel über der Decke hatte (weil mir sonst zu heiß wurde) und gleichzeitig die Ohren zudeckte (weil mir sonst zu kalt wurde). Er wusste, dass ich gern jede Zutat meines Essens auf dem Teller getrennt hielt (Vivica kippte die Soße meist oben auf die Erbsen auf den Kartoffeln auf dem Fleisch, bis der ganze Teller aussah wie ein Müllhaufen). Er wusste, dass ich es nicht leiden konnte, im Auto zu sitzen und über einer Landkarte zu brüten - ich zog es vor, die Route gemütlich in meiner Küche auszutüfteln. Das Einzige, was Tim nicht wusste, war, wie man eine Fehlgeburt verhindert.
Ich musste ihn sehen - ich musste ihn so dringend sehen, dass ich nicht einmal bei Fletch vorbeifuhr, um mich hübsch zu machen. Immerhin wischte ich mit dem Handrücken das Fett von meiner Nase. (In einer langjährigen Beziehung zählt das als schick machen.) Während ich im Eiltempo zu unserem Haus - oder seinem Haus - marschierte, dachte ich darüber nach, was ich eigentlich über ihn wusste.
Ich wusste, dass er öfter die Schlüssel, das Handy oder sein Portemonnaie verlor und dass sie dann entweder im Auto, in einer Hosentasche oder in seinem Rucksack lagen. (Auch nachdem er dreißig Jahre in seinem Kopf gelebt hatte, wusste Tim nicht, wo er seine Sachen versteckte.) Ich wusste, dass Tim sich oft vor seinen Freunden brüstete, wie gern er Tiere totschießen würde (Hasen, Fasane, Hirsche), und dann, als er es endlich einmal geschafft hatte, angeln zu gehen, alle Köder im Garten freigelassen hatte, weil er Mitleid mit ihnen hatte. Und wenn Tim in einem Café sitzen und Pommes frites essen würde und fünf junge Männer die Zeche prellten, würde Tim ihnen hinterherlaufen und ihnen zureden, Geld aus einem Automaten zu ziehen und bei der netten Cafébesitzerin zu bezahlen (die ihm daraufhin ein englisches Frühstück mit Speck und Würsten spendierte, das er grinsend verspeisen würde). Das war der Mann, den ich verlassen hatte.
Es hatte mich rasend gemacht, dass jeder - Vivica, Cassie, Tante Edith, der Mann im Mond - mir zugeredet hatte, mit Tim Frieden zu schließen. Schließlich wusste keiner von ihnen wirklich , wie wir miteinander umgingen, wenn wir allein waren, ganz egal, wie gut wir in der Öffentlichkeit zusammenzupassen schienen. Woher wollten sie wissen, dass er mich nicht heimlich grün und blau prügelte, während ich ihn mit versalzenem Essen zugrunde richtete? Es war reiner
Zufall, dass unsere Beziehung so gut lief und dass sie tatsächlich alle recht hatten.
Tim öffnete die Tür mit einem Handtuch um die Taille und eingezogenem Bauch.
»Hallo«, sagte ich. »Störe ich?«
Er wirkte überrascht - vielleicht sogar erschrocken -, mich zu sehen. Aber nicht unglücklich. Er trat beiseite, um mich ins Haus zu lassen. »Ich ziehe schnell ein T-Shirt an«, sagte er.
Er galoppierte die Treppe hoch und erschien zehn Sekunden später wieder in einem blauen T-Shirt und beigen Shorts.
»Hast du Unterhosen drunter?«, fragte ich und merkte erst danach, dass ich diese Frage nur als langjährige Freundin stellen durfte und nicht als langjährige Freundin, die vor kurzem vor die Tür gesetzt worden war.
» Ja
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