Meine Schwester und andere Katastrophen
.« Tim verdrehte die Augen - was ich als gutes Zeichen nahm.
Ich lächelte. Das Haus war eine Müllhalde. Ich erspähte zwei Apfelbutzen auf dem Tisch im Hausflur, und auf dem Boden lagen so viele alte Schuhe und abgelegte Sachen und Rucksäcke und Zeitungen, dass ich kaum wusste, wohin ich meinen Fuß setzen sollte.
»Ich habe eine Putzfrau eingestellt, nachdem du weg warst«, sagte Tim.
»Ach was«, sagte ich. »Sie ist eine Fehlbesetzung.«
Tim seufzte. »Sie hat nach einer Woche gekündigt. Sie meinte: ›Sie brauchen jemanden zum Aufräumen, nicht zum Putzen.‹«
Ich sah ihn an und hätte mich am liebsten in seine Arme geworfen, aber ich wusste, dass das nicht ging. Waren »Verzeih mir« nicht schon immer die schwersten Worte gewesen? Lächerlich.
»Verzeih mir«, sagte ich.
»Du mir auch«, sagte er.
Ich machte einen Schritt auf ihn zu und drückte ihn mit aller Kraft. Nach einer Sekunde erwiderte er den Druck so fest, dass mir die Luft wegblieb.
»Ich liebe dich«, sagte ich. »Bitte, nimm mich zurück.«
»Ich liebe dich auch«, sagte er. »Ich bin so froh, dass du zurück bist.«
»Ich bin wirklich über den Berg«, sagte ich. »Ich bin bereit für einen neuen Anfang!«
»Ich auch.« Er hielt mich von sich weg und sagte: »Lass dich anschauen.«
Ich schmollte.
»Du bist so schön«, sagte er. »Mein wunderschönes Mädchen.«
Wir stürzten uns in einen Kuss, bis Tim aufstöhnte und mir ins Haar flüsterte: »Lass uns raufgehen.«
»Okay«, kicherte ich, und wir rannten Händchen haltend nach oben.
Ich zog ihn in Richtung Schlafzimmer, doch dann merkte ich, dass er mich in die entgegengesetzte Richtung zog.
»Warte«, sagte er. »Ich will dir erst was zeigen.«
Er stand vor dem Kinderzimmer. Mein Herz fing an zu pochen. Das war ein Test! Er wollte sehen, ob es mir wirklich besser ging oder ob ich ihm was vorspielte. Er packte den Türknauf, und ich atmete tief durch. Ich war bereit - für die hellblauen Wände, die abgeschliffenen Dielen, die Delphinlampe, die winzigen Anziehsachen, die immer noch zusammengefaltet auf der Wickelkommode lagen und darauf warteten, dass ein winziger Mensch sie trug. Ich hatte den winzigen Menschen gehen lassen, mir war nichts anderes übrig geblieben. Ich würde sie nie vergessen, aber ich war bereit,
den nächsten Ankömmling willkommen zu heißen, sobald - bitte, lieber Gott - er oder sie eintraf.
Tim öffnete die Tür, und ich schreckte zusammen.
»Was hast du gemacht?«, brüllte ich ihn an. »Wo sind die ganzen Möbel? Was hast du mit ihren Sachen gemacht?«
Alles. Weg . Die liebevoll abgeschliffenen Dielen - verschwunden, begraben unter einem braunen Sisalteppichboden. Die Wände bordeauxrot, wie um alte Blutspritzer zu übertünchen. Kein Delphin, stattdessen ein unheilschwangerer weißer Lampenschirm aus Baumwolle, die in unregelmäßigen Schleiern herabhing wie ein Totentuch. Eine Vase mit toten - Verzeihung - getrockneten Blumen (wer kaufte so was überhaupt?) und an der Wand eine gerahmte Zeichnung von einer Nackten (angefertigt von Tims Mutter, die einen Zeichenkurs besucht hatte; das Gesicht hatte sie später reingekritzelt, es erinnerte mich an den Schrei.) Ein Schreibtisch, ein Bücherregal mit meinen besten Frauenbüchern - Elizabeth Berg, Adriana Trigiani.
Ich sah Tim an, der an der Haut unter seinem Daumennagel kaute. Er bemerkte meinen Blick und sagte: »Das ist dein neues Arbeitszimmer!«
Ich riss die Schreibtischschubladen auf, um festzustellen, ob in einer davon ein winziges gelbes Leibchen mit einem aufgestickten roten Schmetterling lag. Stattdessen fand ich Tipp-Ex und einen Radiergummi. »Das ist nicht mein neues Arbeitszimmer!«, keuchte ich. »Das ist ein Totenzimmer!«
»Ein Totenzimmer! Was zum Teufel redest du da? Totenzimmer! Ich dachte -«
»Wo hast du ihre Sachen hingetan?«, schrie ich ihn an. »Wo sind sie?«
»Ich habe sie in den Müll geworfen!«
»Du -«
»Sie liegen in meinem Nachttisch, du Irre!«
»O Gott!« Ich wollte an ihm vorbeirennen, aber er fing mich am Handgelenk ab und zog mich an sich, bis sein Gesicht wenige Zentimeter vor meinem war.
Dann brüllte er mich an: »Ich dachte, du würdest es so wollen! Weil du kein Baby mehr haben willst! Hast du nicht gesagt, du wärst über den Berg? Das bist du noch lange nicht! Du hast dich kein bisschen verändert! Du lässt dir dein ganzes Leben ruinieren, dabei passiert so was Millionen von Menschen immer und immer wieder, und alle kommen irgendwann
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