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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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aufregend, weil es ein bisschen anrüchig und schlüpfrig wirkt und ihr den Anschein von Verruchtheit gibt (nichts könnte weniger wahr sein). Mutter zu sein würde sie nicht zufrieden stellen, weil für sie die Mutterschaft nichts Aufregendes hat. Von wegen!
    Sie war nicht qualifiziert als Mutter. Ich musste daran denken, wie sie mich malträtiert hatte. Immer musste ich auf der Heizung sitzen. Ich tat es ihr zuliebe. In Wahrheit passte ich auf Lizbet auf, weil sie nicht einmal für sich selbst einstehen konnte. Sie ging ein volles Jahr in den Hebräischunterricht, bevor ich intervenierte. Sie hasste den Hebräischunterricht, und doch trottete sie Woche für Woche gesenkten Hauptes zur Synagoge, obwohl Mummy und Daddy wirklich keine Gegner waren und sie sofort in einem roten Bikini losgeschickt hätten, wenn sie nur einmal erklärt hätte: » Kein Mensch lernt heute noch Hebräisch. Mrs Schuller sagt, wir sollen den Sonntagvormittag in der Sauna verbringen. Sie sagt, inzwischen gibt es überall welche.«
    Mummy und Daddy hatten von nichts eine Ahnung, sie improvisierten mit ihren völlig nutzlosen Erziehungstheorien: Posaune spielen lernen, in den Zoo gehen, täglich an die frische Luft. Sie brauchten Anleitung und Disziplin - die ich ihnen bot. Ich zeigte ihnen, wie man Menschen mit fester Hand führt und ihnen Grenzen setzt, und ich machte sie damit glücklich. Lizbet hingegen hatte nie den Mumm, die Führung zu übernehmen. Ist ja kein Problem, solange sie damit nur ihr eigenes Leben ruinierte, aber als Mutter - eine Katastrophe! Du musst furchtlos sein. Wenn du Angst vor der Welt hast, killst du damit die Selbstachtung deiner Kinder.
Sie merken, dass du Angst hast, und fühlen sich wie Dorothy, als sie begreift, dass der Zauberer von Oz Angst hat. Lizbets Vorstellung von Durchsetzungsvermögen beschränkt sich darauf, eine höfliche Notiz über eine matschige Avocado an das Pinnbrett ihres Supermarkts zu heften.
    Ihr Kind hatte keine Chance.

KAPITEL 12
    Ich ertrug Lizbets Anblick nicht mehr. Ich wollte mich nicht mehr im selben Zimmer aufhalten wie sie. Ich wollte nicht mehr auf demselben Planeten sein wie sie. Dieses ganze Geschnatter und Gegurre, dieses Gerede über Geschenke, in das selbst Georges Eltern einstimmten. Außerdem fiel mir auf, wie Mrs Hershlags Blick sehnsuchtsvoll an mir hängen blieb. Mir, der kinderlosen Karriereschlampe. Lizbet merkte gar nicht, wie wütend ich war - sie war nur noch mit sich und dem Baby beschäftigt. Ich und alle um sie herum waren nur noch Hintergrundrauschen. Man sieht das oft bei Schwangeren. Sobald man einmal nicht über Kinderzimmereinrichtungen spricht, schweift ihr Blick ab.
    Sie hatte es mir am Telefon gesagt, noch bevor sie es unseren Eltern erzählte, und im ersten Moment hatte ich kein einziges Wort herausgebracht. Kann sich jemand vorstellen, wie perplex eine Anwältin sein muss, um sprachlos zu sein? Seit Ewigkeiten ahnte niemand mehr, wie ich mich fühlte. Ich war eine gute Schauspielerin. Ich zog es vor, meinen unangenehmen Kram für mich zu behalten. Wer es zulässt, dass ihn seine Mitmenschen als Erwachsenen rot geheult und mit Schniefnase sehen, muss schon ein verdammter Egoist sein.
    Aber an manchen Tagen schaffte ich es kaum, aufrecht zu stehen und nicht gramgebeugt durch die Gänge zu schleichen wie ein menschliches Fragezeichen, weil ich sicher war, dass
mir gleich der Himmel auf den Kopf fallen würde. Ständig drohte eine Katastrophe. Jeden Moment erwartete ich, dass die Zimmerdecke auf mich herunterbrechen und riesige Betonbrocken herabrumpeln würden wie ein biblischer Hagelschauer und dass mein Schädel zu Eierschalenscherben zertrümmert würde.
    Vielleicht hing dieses Gefühl mit der Nachricht von Sarah Paulas Tod zusammen, aber darüber konnte ich mit niemandem sprechen. Die Bösartigkeit des Schicksals schwoll zu einem Schwindel erregenden Strudel an. Düsternis hatte sich über mich gesenkt, schwer und unerwartet wie eine Gewitterwolke, die nicht mehr weichen wollte. Seit über einem Jahr hing sie nun schon über mir, und mittlerweile hatte ich mich an ihre Anwesenheit gewöhnt wie an eine bedrückende, zermürbende Last. So als hätte ich einen inoperablen Buckel bekommen: Es gab nichts, was ich dagegen unternehmen konnte, außer den Augenschein zu erhalten, dass ich meinem Leben nachging wie sonst auch. Und genau das war das Problem. Ich ging meinem Leben nach - immer auf der Suche nach einer Existenzberechtigung -, ich hechelte ihm

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