Meine Schwester und andere Katastrophen
Jacobs -Stiefeln. So war es immer gewesen. Lizbet machte die Fehler. Obwohl sie ein wirklich nettes Mädchen war, lobten unsere Eltern sie nie. Sie hatten keine Ahnung, was für ein Glück sie hatten.
Selbst jetzt sagte Mummy immer, wenn Lizbet am Esstisch gerade etwas erzählte und ich nur so aussah , als hätte ich einen Gedanken im Kopf: »Elizabeth! Lass deine Schwester auch mal zu Wort kommen!« Obwohl Lizbet mir nie ins Wort gefallen war, sondern immer ich ihr. Aber das hatte Mummy nie gesehen. Sie verwechselte Größe mit Kraft. Lizbet ist ein großes, kräftiges Mädchen, und zwar, weil es ihr an Selbstbeherrschung fehlt - beim Essen, Geldausgeben, was auch immer. Sie spürt genau, dass sie als Kind benachteiligt wurde, und muss darum als Erwachsene alles besitzen, wonach ihr der Sinn steht. Ihre Schränke sind vollgestapelt mit Fertigcappuccinodosen. Kein Mensch braucht Fertigcappuccino. Fertigcappuccino hat kein Niveau. Direkt nachdem sie Supersize me gesehen hatte, fuhr sie zu McDonald’s. Sie absolvierte die Atkins-Diät, »aber mit Kartoffeln«.
Und wenn ein neuer Schokoriegel auf den Markt geworfen wird, muss Lizbet ihn noch am selben Tag kaufen. Und mich noch vom Laden aus anrufen. Sie erzählt mir, wie viel sie gegessen hat, als wäre ich eine Priesterin, die ihr die Absolution erteilen kann. So ist Lizbet: Sie will, dass jemand anderer ihre Fehler ausbügelt. Ich finde es ein bisschen retro, wegen Schokolade eine Krise zu kriegen. Wir leben im einundzwanzigsten Jahrhundert - ich finde, dass Frauen ungestraft
ein Stück Schokolade essen können. Aber Lizbet hasst es, schwach zu sein. »DU BIST EIN FETTSACK!« steht in fluoreszierenden Magnetbuchstaben an ihrem Kühlschrank, und einmal überraschte ich sie dabei, wie sie ein Polaroidfoto von sich machte, auf dem sie nackt vom Bauch bis zu den Knien zu sehen war. »Das hefte ich an die Tür vom Speiseschrank«, erklärte sie mir.
»Super«, sagte ich. »Du willst also einen Schnappschuss von deiner Vagina an die Küchenwand hängen. Da fühlen sich deine Gäste gleich wie zu Hause.«
Ich bin von uns beiden die Mütterliche. Es irritiert mich, dass die Menschen das immer überrascht - als wäre es unmöglich, zwei Dinge zugleich zu sein. Ich bin vielleicht nach außen - und innen - tough, aber eine gute Mutter muss das sein, und ganz nebenbei liebe ich Kinder. Sie bringen mich zum Lachen. Sie sind verrückt und ehrlich und zeigen ungefilterte Gefühle, und das finde ich bewundernswert - bei anderen. Ich verstehe Kinder. Gott im Himmel, Lizbet ist wie ein Kind! Ich sorge für sie. Sie macht alles falsch. Sie mag zwar vernünftig wirken, aber sie ist es nicht. Sie ist eine Belastung. Sie achtet ungeheuer auf belanglose Kleinigkeiten - »Warte mal, nein, nicht diese Tasse, aus so einer komischen Tasse kann ich nicht trinken, nimm die, die Tomas bemalt hat, die lila-gelb-schwarze, nein!, entschuldige, ich habe es mir anders überlegt, die Porzellantasse mit den Katzen drauf, genau! Super, du kannst den Kaffee einfach von der einen in die andere Tasse gießen« während die großen Fragen, die wirklich von Bedeutung sind - etwa ein Haus zu kaufen, das sie sich leisten kann, und nicht eines, das sie haben möchte -, ignoriert werden.
Kinder werden nicht umsonst als Unterhaltsbedürftige bezeichnet, Lizbet. Man braucht hundert Riesen im Jahr, um in
London ein Kind großzuziehen. Das Haus war eine Bruchbude, nachdem sie es drei Jahre lang bewohnt hatten. Lizbet war die Lachnummer der gesamten jüdischen Gemeinde, weil sie sich einen Christen geangelt hatte, der nicht heimwerken konnte. Die Farbe blätterte ab, der Putz blätterte ab, und an der Vorhangstange im Schlafzimmer hingen immer noch zwei lichtdichte Planen statt richtiger Vorhänge. Und direkt über dem Bett war ein dicker Fettfleck an der Wand. Als Lizbet meinen fragenden Blick bemerkt hatte, meinte sie achselzuckend: »Der ist vom Kopf des Vorbesitzers, denke ich. Ich lehne mich einfach nicht an, und wenn doch, dann nur mit hochgestelltem Kissen.«
Lizbet lebt sorglos in den Tag hinein, und ich mag keine Menschen, die in den Tag hineinleben. »In den Tag hineinleben« ist eine höfliche Umschreibung für »stinkfaul«. Einfach nur leben und leben, ohne sich anzustrengen. Ihr Optimismus grenzt an Dummheit. Woche für Woche geht sie beim Lottospielen leer aus, und jedes Mal ist sie überrascht. Außerdem glaubt sie, dass Altersvorsorge etwas für andere Leute ist. Und worüber macht sie sich
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