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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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körpers , das Engelsgesicht eines träumenden Babys, die Erhabenheit eines zornigen Babys, die Ehrfurcht gebietende Reinheit eines lächelnden Babys, das musikalische Gurren eines gut gelaunten Babys, die geschäftsmäßige Miene eines trinkenden Babys, die schlauen Rosaroter-Panther-Augen eines Babys kurz vor dem Einschlafen, die göttlichen zahnlosen Kiefer eines Babys, die monströse Pausbäckigkeit eines von unten betrachteten Babygesichts (die ewige Frage - wo enden die Backen, wo beginnt das Kinn?) … all das ließ sie kalt. Wenn sie ein Baby
im Rinnstein entdeckt hätte, hätte sie einen großen Schritt darüber hinweg gemacht.
    Es war zum Kotzen. Lizbets Nachbarin hatte sie und Tim gebeten, Paten zu werden - dieses lachhafte Töpfchendesign hatte bei allen einen ganz falschen Eindruck hinterlassen -, doch als Lizbet zum ersten Mal Tomas hüten musste, flehte sie mich an, zu ihr zu kommen, weil sie so Schiss hatte . Ich glaube, sie war insgeheim stolz darauf, dass sie mit Kindern nichts anfangen konnte, dass sie eine Abneigung gegen Babys hatte. Es war eine Pose, mit der sie der Welt zeigte, dass sie viel zu hip war, um ihren Beitrag zum Erhalt der Spezies zu leisten. Yeah, aussterben - cool . Ich könnte nicht einmal mit Sicherheit sagen, ob sie selbst an ihr Getue glaubte. Es war ein Selbstschutz. Sie sah ihre gebärfreundlichen Hüften als Zeichen des Teufels. Sie war unsicher, und ein Großteil ihres Lebens war nur Show .
    Bis heute unterhielt sie sich mit ihrem Patensohn wie mit einem Grenzdebilen: »Ooh, Tomas, das ist aber ein schöner Pulli, den du da anhast, was für eine Farbe hat er denn?« Völlig zu Recht würdigte Tomas ihre Fragen keiner Antwort. Ich nehme an, dass sie inzwischen ein bisschen mehr auf ihn einging, aber dennoch erinnerte sie mich an eine Arachnophobikerin, die erfolgreich einen Kurs im Zoo abgeschlossen hatte und nun eine Tarantel in der Hand hielt. Man hatte das Gefühl, sie könnte jeden Augenblick die Arme hochreißen, einen markerschütternden Schrei ausstoßen, von Kopf bis Fuß erschauern und aus dem Raum rennen.
    Wohingegen die Katze … Jesus. Wenn es möglich gewesen wäre, hätte sie das Tier in Oxford eingeschrieben. Manchmal stand ich in der Küche, und die Katze lag ausgestreckt auf der Küchentheke. Genau genommen kackte sie erst in ihr Katzenklo, bis der ganze Raum mit Kackeduft erfüllt
war, und sprang anschließend auf die Theke, wo das Essen zubereitet wurde. Widerlich. Dann ließ sie sich genau dort nieder wie Kleopatra auf ihrem Lager, den kackefleckigen Hintern auf der Arbeitsfläche, und Lizbet rief aus: »Cassie, sieht Sphinx nicht aus, als würde sie bei ›Wer wird Millionär? ‹ antreten?«
    Wie bitte? Nein! Was redete sie da, verflucht noch mal?
    Wenn ich das dann sagte, antwortete sie: »Ach, weißt du, wenn sie ihre Pfoten so eingeknickt hat und auf der Seite lehnt, sieht sie so ernst und intelligent aus … Außerdem erinnert sie mich an den chinesischen Mandarin in der alten Geschichte - ›Die Hirtin und der Schornsteinfeger‹ -, du weißt schon, mit seinen langen Ärmeln, unter denen man die gefalteten Hände nicht sieht.«
    Selbstverständlich. Ich meine - hä?
    Jedes Mal, wenn ich sie vor mir sah, so altklug und ahnungslos und mit einem Baby im Bauch, kochte heiße Wut in mir hoch. Ich war diejenige, die sorglos durchs Leben segeln und der alles gelingen sollte. Und warum? Weil ich dafür arbeitete, dass alles gelang. Ich konnte nicht fassen, wie sehr mir alles miss lang. Ich hasse den Satz »Sicher ist nur der Tod und die nächste Steuernachzahlung«, weil ich, ehrlich gesagt das Gefühl habe, dass manche Dinge sicher sein sollten. Zum Beispiel, dass dir etwas zusteht, wenn deine perfekte Mutter stirbt, bevor du sie kennen lernen konntest. In dieser Situation steht dir alles zu, was du verflucht noch mal haben willst. Ich hätte kotzen können, wenn ich daran dachte, was ich alles angestellt hatte, um ein Kind zu bekommen. Wenn du so hart arbeitest, erwartest du auch eine Belohnung.
    Wie hatte sie das hinbekommen? Eigentlich war sie diejenige, die sich mühsam durchs Leben wurstelte. Sie war die Ältere, das Mädchen, das sich durchs Dickicht schlagen und
mir den Weg freimachen musste. So sah ich unsere Beziehung: sie aufgelöst, schmutzig, abgekämpft, mit schweißüberströmtem Gesicht und in den falschen Hosen, die im Schritt Falten warfen, während ich gelassen und adrett hinter ihr her spazierte, makellos und schick in meinen Marc

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