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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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Nachbarn vergleichen, die sich gegenseitig mit ihren Wintergärten zu übertrumpfen versuchen.
    Aber innerhalb dieses Radius war unsere Beziehung stabil. Moment, müsste das nicht eigentlich »Radiusses« heißen? Manchmal kapiere ich unsere Sprache nicht. (Noch was, Cassie hält mich für trivial. Obwohl ich nicht diejenige bin, die drei Hermès-Taschen besitzt und sich die Zähne bleichen lässt.) Ich glaube, Cassie hat wirklich Probleme damit, dass ich mich verändere. Cassie war sexy, während die Jungs immer durch mich hindurchsahen, als wäre ich aus Glas. Sie konnte sich nur schwer umstellen - ich hatte gewusst , dass sie an meinem Givenchy-Kleid herummäkeln würde -, aber sie gab sich redlich Mühe. Hoffentlich sah sie, dass ich im
Herzen immer noch dieselbe war. Ich würde immer noch als Schatten ihres leuchtenden Sterns dienen. Nur nicht mehr auf meine Kosten.
    » Wir könnten vielleicht ein Kissen gebrauchen, Dad«, sagte George.
    Ich merkte, wie ihn Cassie entsetzt ansah, begriff aber nicht, warum. Diplomatie gehörte sonst nicht zu Georges Stärke. (Schließlich war er es gewesen, der unseren Vater gefragt hatte: »Sie arbeiten doch im Hotel. Bekommen Sie oft Angebote, einen Dreier zu schieben?«) Vielleicht war sie einfach nur überrascht.
    »Ihr wollt Kissen?«, rief Mr Hershlag begeistert aus. »Nehmt nur!«
    George räusperte sich.
    »Das Frikassee ist köstlich«, kam ihm Cassie zuvor. »Sag mal, wie schaffst du es, dass es so zart wird? Ich habe das Rezept zu Hause nachzukochen versucht, und ich bekomme nichts Vergleichbares hin.«
    Ich starrte sie an. Lügnerin. Ich glaube nicht, dass meine Schwester jemals rohes Geflügelfleisch berührt hat. Sie musste irgendwas damit bezwecken. Aber ich konnte mir beim besten Willen nicht vorstellen, dass die Hershlags irgendetwas besaßen, was Cassie haben wollte. Sie waren nicht gerade reich.
    Sheila strahlte stolz. Sie hatte ein nettes, offenes und kein bisschen boshaftes Lächeln. Ich ohrfeigte mich innerlich. Du bist schon ziemlich tief gesunken, wenn du dich dabei ertappst, Schwiegermutter-Neid zu entwickeln.
    Tims Mutter war genau genommen keine Schwiegermutter, auch wenn sie sich wie eine verhielt. Am vergangenen Wochenende hatte sie uns zu einem Besuch bei ihnen gezwungen. Tims Mutter hatte ein Gesicht wie ein Bluthund.
Beim Mittagessen hatte sie mir weniger Bratkartoffeln als jedem anderen auf den Teller gegeben (wobei mir klar wurde, dass ich verflucht kurz vor dem Hungertod stand und was Richtiges zu essen wollte). Danach hatten wir alle im Wohnzimmer gesessen, die Hände im Schoß, und sie hatte zu ihrem Garten hin genickt. »Seht ihr die Ringeltaube da draußen? Ein Fuchs hat ihren Mann geschnappt. Er war verletzt, und sie hat versucht, den Fuchs abzulenken. Indem sie mit den Flügeln geschlagen hat. Und laut geschrien. Aber ohne Erfolg. Jetzt ist sie einsam. Immer sitzt sie allein da.«
    Eine tragische Geschichte, aber mir konnte sie nichts mehr vormachen. Tims Mutter hatte kein weiches Herz - sie hatte überhaupt kein Herz. Bestimmt dachte sie, dass ich es verdient hatte zu leiden, weil ich sie um ihr Enkelkind gebracht hatte. Wir saßen im Wohnzimmer und starrten weiter auf die trauernde Ringeltaube, als plötzlich aus der Küche ein markerschütterndes Krachen zu hören war. Wir liefen hinüber und sahen, dass alle drei gerahmten Fotos, die zuvor gefährlich wacklig auf einem Regalbrett über dem Herd gethront hatten, auf den Boden gefallen waren, wobei eines kaputtgegangen war. Das Foto von Tim und mir.
    »Ich habe ihm gesagt , dass das Brett lose war«, seufzte Tims Mutter. Und dann: »Komisch, dass so viele Bilder runtergefallen sind und nur das eine kaputtgegangen ist.« Pause. »Man sagt immer, aller schlechten Dinge sind drei.«
    Wie meinte sie das? Dass mir noch eine Fehlgeburt bevorstand?
    Ehrlich gesagt kam ich mit alldem ziemlich gut zurecht. Natürlich trank ich, aber vielleicht hatte ich bis dahin einfach zu wenig getrunken. Ich war lethargischer als früher. Eines Nachts kratzte ich mir den Knöchel wund - so trocken war meine Haut. Tage später fiel mir auf, dass die Wunde
nicht richtig verheilte, und ich stellte fest, dass sie entzündet war. Früher wäre ich zum Medizinschrank geflitzt und hätte die Wunde in Jod gebadet. Stattdessen dachte ich, ach was, das heilt schon wieder. Schließlich heilte sie tatsächlich, aber es blieb eine große braunlila Narbe zurück. Ich rätselte, wann ich wohl etwas unternommen hätte. Bei

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