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Meine Schwester und andere Katastrophen

Titel: Meine Schwester und andere Katastrophen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Anna Maxted
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meist war er von Frauen über vierzig an Frauen über vierzehn gerichtet.) Ich nickte, denn mir stiegen die Tränen in die Augen. Warum musste sie nett zu mir sein? Mit der Gehässigkeit von Tims Mutter konnte ich umgehen. Sie prallte von mir ab, härtete mich mit jeder kleinen Narbe ab. Mitgefühl hingegen war mein Untergang. Es schlängelte sich
in mein Herz und infizierte es mit Kummer, bis ich glaubte, ich würde an den Schmerzen zugrunde gehen.
    Die der Situation angemessenen Phrasen paradierten in meinem Kopf - »Herzlichen Glückwunsch, Cassie und George, ich freue mich so für euch, das sind ja wunderbare Neuigkeiten« -, aber mein Gehirn weigerte sich, sie freizugeben.
    Darum fuhr mein Kopf erschrocken und überrascht hoch, als ich genau diese Worte laut ausgesprochen hörte: »Herzlichen Glückwunsch, Cassie und George, ich freue mich so für euch, das sind ja wunderbare Neuigkeiten!«
    »Prost, Tim! Prost, Kumpel!«, bedankte sich George.
    Cassie rang sich ein dünnes Lächeln ab.
    »Lizbet«, sagte Tim, »willst du denn gar nichts sagen?«
    Alle Blicke waren auf mich gerichtet. Ich starrte eisern zurück. Mr Hershlag wischte sich mit einem Taschentuch die Tränen aus dem Gesicht. Vivica sah aus wie der Klassenstreber, der die Antwort wusste und sich alle Mühe geben musste, um nicht aufzuspringen und »Hier!« zu rufen. Unser Vater polierte seine Brille mit einer Ecke des bestickten Sabbattuches. George starrte mich stolz und trotzig an. Tims Gesicht war betont ausdruckslos. Cassie zerbröselte mit ihrem Fingernagel ein Stückchen glänzende Challahkruste.
    Ich sagte: »Darauf trinke ich einen!«
     
    Ich kaufte eine Flasche Stone’s Ingwerwein - unser Vater trank ihn immer, und ich mochte den Geschmack - und ließ mich in unser Auto plumpsen, wo ich mit zierlichen Schlückchen an dem grünen Flaschenhals nippte. Mir war aufgefallen, dass nur Cassie und mein Vater versucht hatten, mich aufzuhalten. Diese Kuh! Ich rutschte tiefer in meinen Sitz, entdeckte eine leere Coladose auf dem Boden und dekantierte
den Wein hinein. Dann setzte ich mich auf und trank in tiefen Schlucken. Ach, endlich entspannen können! Nur dass ich es nicht konnte. Mein ganzer Körper bebte vor Zorn, und mein Herz klopfte wie wild.
    Verlogene … Quatsch von wegen George … hab’s doch gewusst … es sei denn … ein anderer … diese Lügnerin … so eine Chuzpe … muss doch gewusst haben … wie kann sie es wagen … ungerecht … kriegt immer … ich nie … so großkotzig … verachtet … für mich interessiert sich niemand … Hypothekengeier … nicht gewogen … Marks & Spencer … Avocados … braun … Himmel … nicht aufgenommen … Olivenöl … beste Hose … kotzende Katze … Teaktisch … verfärbt … so ungerecht … heim … Gurt … langsam … vorsichtig … da sind wir … genial gefahren … Alkohol … hilft beim Konzentrieren … Achtung … Mauer … in die Garage - KRACH !
    »Scheiße«, sagte ich, als mir der Airbag ins Gesicht schlug. »Jesus!«
    Ich kreischte und versuchte mit meinem Geschrei den Schmerz zu übertönen. Ich dachte, Airbags wären dazu da, dich vor Verletzungen zu schützen . Außerdem hatte ich mir ein Schleudertrauma geholt. Benommen und zitternd saß ich da. Ich öffnete blind die Autotür und übergab mich auf den Beton. Ich konnte schon spüren, wie meine Nase anschwoll. Dann atmete ich tief ein, schubste die Flasche mit dem Fuß unter den Sitz und suchte die Fenster ab, ob mich irgendwelche Nachbarn beobachtet hatten.
    Tabitha und Jeremy starrten aus ihrem Schlafzimmerfenster. Tabitha hielt Celestia in ihrem rosa Strampler auf dem Arm und wirkte wütend. Was denn? , hätte ich am liebsten gerufen. Du hast doch dein warmes und anschmiegsames Baby! Du hast nicht das Auto deines Freundes gegen das Garagentor
gesetzt. Ich konnte sehen, wie sich Tabithas Mund bewegte. Jeremy verschwand vom Fenster. Sekunden später war er da.
    »Alles in Ordnung, Elizabeth? Du hast die Ecke ein bisschen zu schnell genommen.«
    Jeremy war nicht gerade mein Liebling. Keines seiner T-Shirts war ohne Slogan, und in der vorigen Woche hatte ich ihn im Garten mit Tomas belauscht. »Tomas! Tomas! Wir gehen zum Essen … ins Wagamamas.« Wahrscheinlich glaubte er, dass irgendwann der Tag kommen würde, an dem sein Dreijähriger erwidern würde: »Wagamamas? Aber das ist nicht wirklich eine kinderfreundliche Essenserfahrung. Oh, Daddy, du bist ganz und gar nicht wie die anderen konformistischen Eltern, du

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