Meine Schwiegermutter ist cooler als deine
ist.
Feilschen kann Minnie wie keine Zweite. Ich beobachte sie dabei interessiert (falls ich nicht meinen Töchtern hinterherlaufen
muss, die den Stand mit den Süßigkeiten ansteuern), obwohl ich glaube, dass ich es nie mehr lernen werde. Mir fehlen die charakterlichen
Voraussetzungen für dieses Spiel. Zunächst macht Minnie sich am Stand bemerkbar. Sie ruft laut »Buongiorno«, auch wenn der
Tandler mitten in einem anderen Verkaufsgespräch steckt. Dann komme ich ins Spiel: Laut erzählt sie mir, dass man ja dieses,
jenes und das da gut gebrauchen könne. Sie benutzt mich zum Warmwerden. Der Verkäufer nähert sich schnell. Und dann geht es
erst richtig los.
Auf den Kisten mit der Ware (Pyjamas, Topfblumen, Bestecksets) steht der Preis ja in zwanzig Zentimeter hohen Zahlen angeschrieben,
schwarz auf pappbraun. Trotzdem fragt Minnie scheinheilig nach, um es vom Verkäufer selbst zu hören. Wenn sie den Preis also
hört, lässt sie auf eine undefinierbare Art Luft ab und schüttelt den Kopf. Der Verkäufer, der Minnie natürlich kennt, spielt
das Spiel mit, obwohl er weiß, dass er sich sein eigenes Grab schaufelt: Er verteidigt nämlich den angesetzten Preis. Minnie
lässt ihn ein wenig zappeln, indem sie sich umständlich zum Gehen anschickt, doch der Verkäufer insistiert. Minnie nimmt ihre
Geldbörse in die Hand, um eine gewisse Kaufbereitschaft zu signalisieren, hält sie aber mit beiden Händen fest. Dann nennt
der Verkäufer einen neuen Preis, und Minnie ruft erfreut: »Aaah, ecco!« Dann wird bezahlt. Minnie kauft viel, sie kauft immer,
und sie kauft wöchentlich. Sie ist eine Marktstammkundin, und deswegen darf |45| sie sich auch einiges rausnehmen. Sie weiß natürlich, was sich gehört; sie drückt den Preis nicht endlos und auch bloß dann,
wenn sie gleich mehr kauft. Nur in Boutiquen, wo die Preise dreistellig sind, entwickelt sie einen erstaunlichen Ehrgeiz,
den Preis auf ein zweistelliges Niveau zu bringen.
Ich laufe Minnie hinterher wie ein Schatten. Genauso treu, genauso schweigsam. Ein Marktbummel ist nichts anderes als ein
Einkaufsbummel, und ich werde in solchen Situationen schnell apathisch. Und so, wie ich keinen Laden betreten kann, ohne nicht
doch etwas zu kaufen (ich habe da einfach ein schlechtes Gewissen, das gute Verkäufer eiskalt ausnutzen), komme ich auch vom
Markt mit allerlei Krimskrams heim. Zumeist Schlüpfern und Tennissocken, gern aber auch asiatischen Barbies, sehr schlechten
Duplikaten, mit denen ich nicht einmal meine zweijährige Tochter täuschen kann.
|46| Halbfinale Deutschland - Italien 2006
Oft genug musste ich mit meinem Schwager Luca das W M-Halbfinale 1970 ansehen, das ja immer wieder zum besten Fußballspiel aller Zeiten gewählt wird. Vor allem von italienischen Experten.
Und es hatte tatsächlich allerhand Dramatik zu bieten. Im Schnelldurchlauf: Italien führt in Mexiko vor 80 000 Zuschauern und bei 45 Grad Hitze bis zur 90. Minute 1:0, dann trifft Deutschlands einziger Italien-Legionär Karl-Heinz Schnellinger von Inter Mailand mit einer eingesprungenen
Grätsche zum 1:1 (der Kommentar von Ernst Huberty, der daraufhin Schule machte, lautete: »Ausgerechnet Schnellinger«). 4
In der Verlängerung kann Deutschland immer wieder ausgleichen, zuletzt zum 3:3, weil Gianni Rivera, bei einer Ecke am Pfosten
postiert, den Ball zwischen sich und dem Holz passieren lässt (Todsünde) und daraufhin von allen Mannschaftskameraden übel
beschimpft wird. Im Gegenzug marschiert Rivera nach vorn und macht das 4:3, die Deutschen fallen weinend zu Boden, denn sie
wissen: noch |47| mal ausgleichen geht nicht. Italien kommt ins Finale. Und wird dort, nach dem kräftezehrenden Match gegen die Deutschen, von
Brasilien mit dem angeschlagenen und auch schon recht alten Pelé 4:1 eingestampft.
Das Halbfinale 1970 ist in Italien ein Mythos wie hierzulande das 3:2 gegen Ungarn 1954. Eine Fußballsendung in Italien heißt sogar schlicht ›4:3‹. Jeder weiß, was damit gemeint ist, und mein Weihnachtsgeschenk
2006 an meine Schwäger wurde zum besten Geschenk des gesamten Festes gekürt. Ich schenkte ihnen ein T-Shirt , auf dem vorne der Austragungsort und hinten die Mannschaftsaufstellung des legendären Spiels stand. Luca trägt es regelmäßig
zur Arbeit. Selbstständige Architekten dürfen so was.
Weltmeisterschaft 2006 in Deutschland. Deutschland gewinnt im Viertelfinale ziemlich glücklich gegen Argentinien, und
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