Meine Schwiegermutter ist cooler als deine
eine sehr düstere Option.
Und mein Onkel hat sich einen Backenzahn ohne jegliche Betäubung ziehen lassen, weil er »keine Lust auf das taube Gefühl«
hatte. Das |51| war nicht vor fünfzig Jahren oder in der Dritten Welt, sondern vorletzten Monat in einer Praxis in Göttingen. Selbst der Zahnarzt
meinte, so etwas sei ihm in seinem Berufsleben noch nicht passiert.
Wenn Laura Schnupfen hat, fällt sie rückwärts ins Bett und steht eine Woche später wieder auf. Ich pflege und umhorte sie,
koche Tee und mache Milch heiß und bringe Lilli und Beatrice in den Kindergarten. Wenn ich zurückkomme, liegt Laura vor dem
Fernseher und schafft es, gleichzeitig die Leitartikel im ›Corriere della Sera‹ zu studieren und groteske T V-Verkaufsshows zu schauen. Ein, wie ich finde, erstaunliches Talent. Dann sitze ich daneben, und in mir reift eine These, die sämtliche
Männer-vom-Mars-und-Frauen-von-der-Venus-Literatur der letzten dreißig Jahre widerlegt. Sie lautet (ich mache um des Effekts
willen einen Absatz):
Frauen sind die wahren Hypochonder.
Werde ich jetzt zu Vormittags-Talkshows eingeladen? Läuft dann ein Text am unteren Bildrand entlang, auf dem steht »Stefan,
36: Frauen simulieren nicht nur den Orgasmus«? Wenn es die Grippe nicht tut, dann bilden sie sich zudem dauernd Krankheiten
ein, die es gar nicht gibt. Ich will gar nicht erst von sogenannten Allergien anfangen. Monatsbeschwerden? Ja, wirklich clever:
Sucht euch nur ein Zipperlein aus, das wir nicht widerlegen können. Täten sich alle Männer dieser Welt zusammen und behaupteten,
sie verspürten, sagen wir, so alle vier Wochen ein ziemlich komisches Magengrummeln und bräuchten deswegen besondere Pflege
und Rücksichtnahme, insbesondere |52| was die Gestaltung des Fernsehabends betrifft: Was könnten Frauen schon groß dagegen tun?
Statistiken zeigen: Männer haben im Job deutlich weniger Fehlzeiten als Frauen. Wenn wir einmal davon ausgehen, dass die Grippe
die Geschlechter gleichmäßig befällt (ein Virus kennt keine Moral), dann ist ja wohl klar, wer mit roter Nase und weinerlicher
Stimme daheim bleibt und wer dafür sorgen muss, dass man sich auch in Zukunft noch die guten Tempo-Taschentücher mit Mentholduft
leisten kann.
Das ist alles Strategie. So, wie wir weinenden Frauen nicht widerstehen können, kitzeln auch kränkelnde Frauen tief sitzende
Instinkte hervor. Einer schniefenden Laura kann ich nichts ausschlagen. Ihr neuester Tick: Sie wünscht sich, falls sie es
denn überhaupt noch mal aus dem Bett schafft, eine Reise nach New York. Sie weiß, dass ich Flugzeuge nicht einmal unter Androhung
von Gewalt besteige. Das Match ist in dieser Hinsicht noch offen. Es wird vermutlich erst im Tiebreak des fünften Satzes entschieden.
|53| Italien, wie man es haben will
Es ist eine Schande, ich gebe es zu, aber mein Lieblingslokal liegt nicht in Grado, sondern in Aquileia, also auf dem Festland,
was für echte Gradeser eine weit entfernte Galaxie darstellt. Aber hier ist Italien noch, wie man es sich in seinen verkitschten
Träumen wünscht, Sie werden gleich sehen, warum. Außerdem mag ich Menschen mit kräftigem Händedruck. Wenn ich also den Händedruck
zum Maßstab meiner Zuneigung erhebe, würde ich Giuliano, dem Besitzer des Gasthofs »La Pergola« (Via Beligna, direkt an der
Straße, die zu Grado führt), meine Autoschlüssel und mein Bankkonto anvertrauen, und ich würde ihn sogar dieses Buch Korrektur
lesen lassen, obwohl er nicht gerade kristallklares Hochdeutsch spricht. Denn Giuliano, mit der Figur eines Kleinlasters gesegnet,
hat den kräftigsten Händedruck, den ich je bei einem Menschen erlebt habe, und ich erlaube mir den Hinweis, dass ich während
meiner Zeit beim ›Playboy‹ Experte für Sportreportagen war und unter anderem Männern die Hände geschüttelt habe, die um den
Weltmeistertitel im Schwergewicht boxten. Jedenfalls gibt es bei Giuliano das, was man hier im Friaul
Mitteleuropa
nennt: deftige Fleisch- und Wildgerichte, Pilze und Kräuter, Käse und Speck, ein gescheites |54| Wiener Schnitzel und prima Weißbier, bis auf Letzteres alles liebevoll zubereitet von Giulianos Mamma, die in der Küche steht.
Pilze und Kräuter kommen aus Giulianos Garten; Giuliano ist ausgebildeter Metzger und macht Würste und Schinken selbst, und
seinen Wein keltert er auch selbst. Ein Essen im Restaurant kostet wenig. Dafür gibt es auch nur Papierservietten, und Vor-
und
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